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Der Gesellschaftsvertrag

Der Gesellschaftsvertrag

Titel: Der Gesellschaftsvertrag
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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niederlegen und sich ergeben, so werden sie, weil sie aufhören Feinde oder Werkzeuge des Feindes zu sein, wieder nur Menschen, und man hat kein Recht mehr auf ihr Leben. Mitunter kann man den Staat vernichten, ohne ein einziges seiner Glieder zu töten, denn der Krieg verleiht nur das zur Herbeiführung seines Zweckes notwendige Recht. Diese Grundsätze teilt Grotius nicht; sie sind nicht auf die Überredungskraft der Dichter gegründet, sondern entspringen aus der Natur der Dinge und sind auf die Vernunft gegründet.
    Was nun das Eroberungsrecht anlangt, so hat es keine andere Begründung als das Gesetz des Stärkeren. Wenn der Krieg dem Sieger nicht das Recht einräumt, die besiegten Völker niederzumetzeln, so kann ihm dieses Recht, das er nicht besitzt, auch nicht das Recht gewähren, sie zu unterjochen. Nur dann hat man das Recht, den Feind zu töten, wenn man ihn nicht zum Sklaven machen kann; das Recht, ihn zum Sklaven zu machen, geht also nicht aus dem Rechte, ihn zu töten, hervor; das ist doch ein unbilliger Tausch, ihn sein Leben, auf das man kein Recht hat, mit seiner Freiheit erkaufen zu lassen. Verfällt man dadurch, daß man das Recht über Leben und Tod auf das Recht der Sklaverei und das Recht der Sklaverei auf das Recht über Leben und Tod gründet, nicht augenscheinlich in einen Kreisschluß?
    Selbst wenn man dieses schreckliche Recht, alles zu töten, als richtig gelten ließe, behaupte ich trotzdem, daß ein im Kriege zum Sklaven gemachter Mensch oder ein unterjochtes Volk gegen seinen Herrn keine andere Verpflichtung hat, als ihm so lange zu gehorchen, wie er dazu gezwungen ist. Da der Sieger für sein Leben einen entsprechenden Ersatz annahm, hat er es ihm nicht geschenkt; anstatt ihn ohne einen Gewinn für sich zu töten, hat er ihn in einer Weise unschädlich gemacht, die ihm Nutzen brachte. Also weit davon entfernt, über ihn ein mit der Gewalt verbundenes Recht gewonnen zu haben, besteht der Kriegszustand zwischen ihnen nach wie vor fort, selbst ihr Verhältnis ist eine Wirkung desselben, und die Ausübung des Kriegsrechts setzt keinen Friedensvertrag voraus. Sie haben ein Übereinkommen getroffen, das mag sein; aber statt dem Kriegsstande ein Ende zu machen, setzt dieses Übereinkommen gerade die Fortdauer desselben voraus.
    Von welchem Gesichtspunkte man deshalb auch die Dinge betrachten möge, so ist das Recht der Sklaverei immer nichtig, nicht allein weil es ungesetzmäßig, sondern auch weil es sinnlos und bedeutungslos ist. Die Worte »Sklave« und »Recht« stehen im Widerspruche; sie heben sich gegenseitig auf. Ob sich dieser Redensweise ein Mensch zu einem anderen oder zu einem ganzen Volke bedient, so wird es stets gleich unsinnig sein zu sagen: »Ich schließe mit dir eine Übereinkunft, die dir allen Nachteil und mir allen Vorteil bringt, eine Übereinkunft, die ich halten werde, solange es mir gefällt, und die du halten mußt, solange es mir gefällt.«

5. Kapitel
Die Abstammung aller Verträge aus einem Urvertrage
    Wenn ich auch alles, was ich bisher widerlegt, zugestände, so würden doch die Verteidiger des Despotismus dadurch noch nicht weitergelangt sein. Es wird stets ein großer Unterschied zwischen der Unterjochung einer Menge und der Regierung einer Gesellschaft stattfinden. In wie großer Anzahl auch zerstreute Menschen nach und nach von einem einzelnen unterjocht werden, so sehe ich dabei doch nur einen Herrn und Sklaven; ich erblicke darin kein Volk und sein Oberhaupt; es ist, wenn man will, eine Zusammenhäufung, aber keine Gesellschaft; es gibt da weder ein Gemeinwohl noch einen Staatskörper. Dieser Mensch ist, wenn er auch die halbe Welt unterjocht hätte, immer nur ein Privatmann, und sein Interesse, sobald es von dem der übrigen losgelöst ist, immer nur ein Privatinteresse. Nach seinem Tode bleibt sein Reich zerstückt und ohne Verbindung zurück, wie eine Eiche, wenn sie vom Feuer verzehrt ist, sich auflöst und in einen Aschenhaufen zerfällt.
    Ein Volk, sagt Grotius, kann sich an einen König verschenken. Nach ihm ist also ein Volk schon ein Volk, bevor es sich an einen König verschenkt. Diese Verschenkung selbst ist ein bürgerlicher Akt, der eine öffentliche Beratung voraussetzt. Deshalb würde es vor der Untersuchung des Aktes, durch den ein Volk einen König wählt, angemessen sein, den Akt zu prüfen, durch den ein Volk eben ein Volk ist, denn da dieser Akt dem andern notwendigerweise vorausgehen muß, so ist er auch die eigentliche Grundlage
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