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Der Geschmack von Glück (German Edition)

Der Geschmack von Glück (German Edition)

Titel: Der Geschmack von Glück (German Edition)
Autoren: Jennifer E. Smith
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Schritt. Überhaupt kam ihm jede weitere Steigerung inzwischen fast unvermeidlich vor. Zuerst kam ein neuer Agent, dann eine neue PR-Frau; ein neues Verhalten in der Öffentlichkeit wurde eingeübt, neue Tutoren halfen ihm während der Dreharbeiten beim Highschoolabschluss, es gab neue Regeln für gesellschaftliche Anlässe und natürlich bisher unvorstellbare Möglichkeiten, Ärger zu kriegen.
    Sogar seine Eltern benahmen sich anders. Wenn er sie jetzt besuchte, waren sie eigenartig gehemmt, wählten ihre Worte sorgfältig, als stünden sie alle vor der Kamera. Hin und wieder machte Graham etwas, was sie ihm früher nicht hätten durchgehen lassen – sein schmutziges Geschirr nicht wegzuräumen oder die Schuhe mitten im Flur liegenzulassen –, doch anstatt ihn anzuschnauzen wie sonst, tauschten sie bloß einen undurchschaubaren Blick und taten so, als hätten sie es nicht bemerkt. Das irritierte ihn dermaßen, dass Graham sie kaum noch besuchte.
    So ungefähr musste sich ein Schleudertrauma anfühlen, glaubte er. Es war noch gar nicht lange her, da hatte er im zweiten Highschooljahr in der schummrigen Aula für die Rolle des Nathan Detroit in Guys and Dolls vorgespielt, nachdem er sich eher zum Spaß beworben hatte und – wie bei fast allem, was er tat – um ein Mädchen zu beeindrucken. Ein paar Tage später entdeckte er erschrocken, dass sein Name auf der Besetzungsliste stand. Seine Schule lag in einem so wohlhabenden Vorort von Los Angeles, dass Graham sich oft wie ein Besucher auf einem fremden, wahnsinnig herausgeputzten Planeten vorkam, doch aus naheliegenden Gründen träumten viele seiner Mitschüler, vor allem die aus der Theatergruppe, von Hollywood. Sie verbrachten ihre gesamte Zeit mit Tanz-, Sprech- und Gesangsunterricht. Sie lasen das Filmblatt Variety , um sich über das Filmbusiness auf dem Laufenden zu halten, und gingen shoppen, um an ihrem Image zu feilen.
    Dann war Graham auf die Bühne geschlendert, schlaksig und ein bisschen schief und mit einem albernen Grinsen im Gesicht, das einem Mädchen galt, mit dem er noch kein Wort gewechselt hatte, und irgendwie hatte er die Rolle bekommen. Doch außer ihm schien das niemand seltsam zu finden. So lief es meistens für ihn. Er hatte nie Probleme gehabt, in eine Mannschaft oder auf irgendwelche Auszeichnungslisten zu kommen, und er hatte stets sämtliche Preise eingesackt, vom Wertvollsten Spieler bis zum Vorbildlichen Mitbürger. Ob das nun gut war oder schlecht, er war eben so ein Typ.
    Und dann kam die Premiere: Er mühte sich durch seinen Text, in einem vielleicht etwas zu kleinen Kostüm, mit vom Scheinwerferlicht tränenden Augen, und war nicht mehr ganz so überzeugt von seinem Vorhaben, das Mädchen, das Adelaide spielte, hinterher zum Frühlingsball einzuladen. Doch dazu hatte er auch gar keine Gelegenheit mehr. Der Vater eines Mitschülers suchte gerade ein unbekanntes Gesicht für die Rolle eines Zauberschülers in einem neuen Film – nicht die Hauptrolle, aber immerhin die Figur, deretwegen die weibliche Hauptrolle an ihren Gefühlen für den Helden zweifelt –, und nach der Aufführung schnappte er sich Graham sofort wegen möglicher Probeaufnahmen. Seine Eltern konnten sich genauso wenig vorstellen wie er, was es bedeuten würde, wenn er die Rolle bekäme. Sie stimmten zu, weil sie es für eine gute Gelegenheit hielten, eine amüsante Erfahrung, vielleicht sogar etwas für den Lebenslauf bei der Collegebewerbung – und wenn es tatsächlich klappte, konnte es zur Finanzierung des Studiums beitragen.
    Später beschrieben alle Zeitschriften seinen Aufstieg zum Star so, als würden sie über eine Zeichentrickfigur berichten: Er sei »aus dem Nichts aufgetaucht«, »wie eine Rakete in die Höhen des Ruhmes geschossen« oder »ins Rampenlicht katapultiert worden«. Und so fühlte es sich auch an. Das Schauspielern gefiel ihm besser, als er gedacht hätte, und zuerst fand er auch die Parallelwelt Hollywood spannend, eine willkommene Abwechslung zu den kleinen Melodramen der Highschool.
    Doch was ihm niemand verriet: Wenn einem so etwas passiert, gibt es kein Zurück. Im Nachhinein war es nicht überraschend gewesen, er hätte es auch selbst merken können, ehe die Dinge nicht mehr aufzuhalten waren, doch das Ganze beschleunigte mit einer gewissen Trägheit, die weniger an ein Katapult als vielmehr an das Herunterrollen von einem Hügel denken ließ. Und wie die meisten Zeichentrickfiguren blieb auch er, nachdem der Boden unter ihm
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