Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesang des Wasserfalls

Der Gesang des Wasserfalls

Titel: Der Gesang des Wasserfalls
Autoren: Di Morrissey
Vom Netzwerk:
Wassers, und der Sprühnebel erfrischte sie, während sie sich vorsichtig ihren Weg durch das Laubwerk bahnten.
    Venti stellte sein Stativ ab und trank von dem lauwarmen Wasser aus der ehemaligen Rumflasche, die der Pilot Gibson McPhee herumreichte.
    Plötzlich kamen sie aus dem Gebüsch heraus und traten auf die nackten Felsen direkt oberhalb der majestätischen Wasserfälle. »Atemberaubend, was?«, rief Edwina Venti zu, der das Stativ aufbaute und überlegte, wie er am besten den feinen Sprühnebel von seinem Arriflex-Objektiv fernhielt.
    Er sah auf und hob die Augenbrauen. »Wäre noch aufregender nach 'nem kleinen Regenschauer.«
    Edwina lachte. Ihr gefiel Ventis Humor, sehr australisch, dachte sie.
    Der Pilot sah amüsiert zu, wie sich Sir Gavin langsam zum Rand der Fälle vortastete, wo der Fluss in den Abgrund stürzte.
    Hase befestigte ein kleines Mikrophon an Sir Gavins Hemd und ging zu seinen Geräten zurück, um den Geräuschpegel zu messen. Dabei meinte er zu Venti: »Kannst du dir das hier in Amerika vorstellen? Da gäb's überall Absperrungen, Hot-Dog-Stände, Souvenierbuden, Schlüsselanhänger, Teelöffel und den ganzen Kram.«
    Venti lächelte. »Das wird noch dauern, bis es hier vor Flitterwöchnern genauso wimmelt wie an den Niagarafällen. Die hier sind fünfmal so hoch wie die Niagaras, weißt du.«
    »Ich frage mich, ob die Touristen überhaupt wissen, dass es das hier gibt.«
    »Komm in zwanzig Jahren wieder, irgendwann in den Neunzigern, dann wird's hier zugehen wie auf dem Rummelplatz.«
    Edwina mischte sich ein. »Bitte, Jungs, wir haben keine Zeit für Touristengeschwätz. Wir müssen weitermachen. Mr. McPhee hat Bedenken wegen der Wolken, wenn du noch Aufnahmen beim Abflug machen willst.« Sie formte ihre Hände vor ihrem Mund zu einem Trichter und rief: »Noch eine Einstellung bitte, Sir Gavin.«
    »Geh und kämm ihm das Haar oder sag ihm, er soll seinen Hut aufsetzen«, sagte Venti, während er durch sein Objektiv schaute.
    »Ich denk nicht dran, näher an den Rand zu gehen. Du weißt, ich hab's nicht mit großen Höhen und steilen Abhängen. Außerdem ist es ihm völlig egal, wie er aussieht, wenn er im Bild ist, das weißt du.«
    Die feuchten Flecken auf seinem Hemd, das zerzauste silbergraue Haar, das nasse, glänzende Gesicht – all das würde Sir Gavin nichts ausmachen. Er meinte, so was trüge nur zu seiner Glaubwürdigkeit bei. War er nicht vor der Kamera, legte er jedoch großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres.
    »Action!«
    Mit einer ausholenden Geste deutete Sir Gavin von den Fällen hinter ihm auf ein Büschel kleiner, glänzend grüner Bromelien am Felsrand.
    »Um die seltenen Schätze unserer Welt zu entdecken, muss man an Orte wie diesen reisen … zum obersten Rand der Kaieteurfälle in Guyana. Dort findet man den seltensten Frosch der Welt.
Colostethus beebei.
Den Goldfrosch. Sie leben hier und nur hier, in diesen vom Sprühwasser dieser gewaltigen Fälle ständig feucht gehaltenen Bromelien …«
    »Schnitt«, rief Edwina. »Sir Gavin! Wie sollen wir hier eine Aufnahme von einem Goldfrosch einblenden? Wo sollen wir den finden? Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
    Sir Gavin strahlte. »Kommen Sie und sehen Sie selbst.«
    Die Crew versammelte sich um ihn und schaute hinunter in die wachsartigen, feuchten Blätter. Das, was ihnen da entgegenblinkte, war ein winziger Frosch.
    »Gott, ist der schön. Als wäre er aus Gold. Mit Diamanten als Augen!«, staunte Edwina.
    »Der grüne Frosch, der sich im Abflussrohr meiner Mutter rumtrieb, ist ganz schön armselig dagegen«, meinte Venti.
    Der Pilot lachte leise in sich hinein. »Der hier ist ein vollendetes lebendes Symbol für diesen Teil der Welt. Hier soll es haufenweise Gold und Diamanten geben.«
    Venti stellte die Kamera auf das Innere der Pflanze ein und empfand dieses besondere Gefühl, das ihn überkam, wenn er eine perfekte Aufnahme vor dem Objektiv hatte. Der kleine flache Frosch, der nicht größer war als Edwinas Daumen, hockte bewegungslos da, und seine Haut schimmerte, als sei sie vergoldet.
    »Nicht mal Tiffany's könnte es besser machen als Mutter Natur, was?«, grinste Sir Gavin mit großer Befriedigung. Er war stets beglückt, wenn die Natur den Sieg davontrug.
    Auf dem Rückweg vom Ogle-Flughafen zum Pessaro Hotel gähnte Sir Gavin einige Male. Der strahlende Abenteurer hatte sich in einen müden und leicht gelangweilten Aristokraten zurückverwandelt. »Edwina, seien Sie so gut und bringen Sie den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher