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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes
Autoren: Andreas Winkelmann
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auf den Schemen. Er musste sich beruhigen, musste seine zitternden Finger unter Kontrolle bekommen. Und vor allem musste er abwarten. Munition zum Verschwenden hatte er nicht. Ein Ersatzmagazin steckte in dem Holster unter seiner Achsel, die anderen sechs waren im Kofferraum des BMW versteckt.
    Er blinzelte, um die Flocken von seinen Augen fernzuhalten. Sein Zeigefinger krümmte sich langsam um den Abzug, vorsichtig ertastete er den Druckpunkt, fand ihn – und erstarrte.
    Der Schemen war ein großer Mensch mit grauer Steppjacke und über dem Kopf zusammengeschnürter Kapuze. Mit den Händen in den Taschen und gesenktem Kopf stapfte der Mann auf sie zu. Als er seinen Kopf hob, wahrscheinlich um sich zu orientieren, sah er Robert und die zusammengekauerte Truppe. Diesen Anblick vergisst er sein Leben lang nicht, dachte Robert und nahm die Waffe runter. «Ihr könnt hochkommen, alles in Ordnung», raunte er den anderen zu.
    Wie vermutet war der Mann Tonis Vater. Johann nahm ihn beiseite, deutete ihm an, ruhig zu sein. Da sie jetzt nicht mehr zum Wohnhaus mussten, steuerten sie den Unterstand an, in dem der alte Daimler parkte. Etwas Schnee wehte auch dort hinein, doch als sie unter das schützende Dach traten, war es ein Gefühl, als wechselten sie zwischen zwei Welten. Alle fühlten sich mit der Holzwand im Nacken wesentlich sicherer als auf dem freien Hof. Johann redete leise auf seinen Sohn ein.
    «Okay, ich hol deinen Wagen», sagt Robert zu Kristin. «Schrei, falls etwas passiert.»
    Der Cherokee stand keine zehn Meter entfernt vor dem Unterstand in der Spur des Daimler, die immer noch als seichte Vertiefung zu erkennen war, sehen konnten sie ihn nicht, dafür war der Schneefall zu dicht.
    Er zog die Schultern hoch und stapfte los. Von einer Sekunde auf die andere wechselte er erneut zwischen den Welten. Der weiße Umhang nahm ihn auf, ließ alles um ihn herum verschwinden. Rechts, links, vorn, hinten, alles verschwamm. Hätte er nicht die Spur des Daimler zur Orientierung gehabt, wäre es ihm schwergefallen, den Cherokee zu finden. Nach zehn Schritten erreichte er den zugeschneiten Kühlergrill an der linken Seite. Eine kräftige Böe trieb ihm eine Ladung Schnee ins Gesicht. Er schloss kurz die Augen und zog den Kopf noch weiter zwischen die Schulterblätter. Dann tastete er sich mit der linken Hand am Kühler entlang bis zur Fahrertür. Als er dort ankam und den Schüssel einführen wollte, war Robert plötzlich sicher, nicht mehr allein zu sein. Er verharrte und horchte.
    «Scheiße», fluchte er und rammte den Schlüssel ins Schloss. Im selben Augenblick strich etwas an seinem Knöchel entlang; er schrie auf. Wie ein Blitz schoss ihm der Gedanke in den Kopf, wie einfach es war, sich unter dem hohen Cherokee zu verstecken. Er sah hinunter und gerade noch die schwarze Katze verschwinden, die es sich im Schutze des Wagens gemütlich gemacht hatte.
    «Robert», hörte er Kristins gedämpfte Stimme.
    «Alles klar, ich komme.» Er öffnete die Tür, setzte sich hinters Steuer und zog sie wieder zu. Sein Herz pochte in wilden Schlägen. Als die Katze ihn am Knöchel berührt hatte, war er für den Bruchteil einer Sekunde sicher gewesen, es sei Radduk, der unter dem Wagen lag und nach ihm griff. Mit zittrigen Händen startete er den Motor und fuhr den Cherokee neben den Daimler in den Unterstand.
    Kristin öffnete die Tür. «Ich hab dich schreien hören.»
    «Alles in Ordnung, da war nur eine Katze unter dem Wagen.»
    Er stieg aus. Kristin setzte sich auf den Fahrersitz. Während die anderen einstiegen, sah er sie an und fragte: «Bist du sicher?»
    Kristin nickte wortlos.
    «Den Ordner aus dem Büro, Lisas Teddy und den Schmuckkasten … mehr willst du wirklich nicht?»
    «Alles andere ist ersetzbar.»
    «Okay, sei vorsichtig. Wenn alles erledigt ist, kommen wir zum Laden. Wartet auf jeden Fall dort auf uns.»
    Er sah den Zweifel und die Angst in ihren Augen. Robert hätte gern etwas gesagt, etwas Aufmunterndes oder Persönliches, doch ihm fehlten die Worte. Stattdessen nickte er ihr zu und schlug dann die Autotür zu. An Johanns Seite sah er den Cherokee im Schneegestöber verschwinden. Die weiße Wand schluckte ihn lautlos.

    In dem alten Daimler roch es nach Erde, Pflanzen und Diesel. Johann saß am Steuer, Robert auf dem Beifahrersitz. Während sie auf das Vorglühen des Motors warteten, beugte Johann sich nach hinten, holte die zwei Flaschen Brennspiritus und gab sie Robert.
    «Die habe ich heute Morgen aus
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