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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes
Autoren: Andreas Winkelmann
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dem Laden mitgebracht.»
    Robert sah ihn an. «Sie haben schon heute früh daran gedacht?»
    «Ich weiß nicht, vielleicht …» Johann zuckte mit den Schultern, «aber allein hätte ich es wohl doch nicht getan.» Dann startete er den Motor, legte den ersten Gang ein und fuhr aus dem Unterstand. Erst als sie sich auf der Landstraße befanden, sprach Robert ihn wieder an.
    «Ihr habt so etwas erwartet, oder?»
    Johann hielt das Lenkrad umklammert, starrte durch die Windschutzscheibe in den Flockenwirbel und orientierte sich an der Spur, die der Cherokee vor wenig mehr als einer Stunde in den Schnee gewalzt hatte. Sie war gerade noch zu erkennen.
    «Erwartet?», wiederholte er und zögerte kurz. «Nein, erwartet ist nicht das richtige Wort. Wir haben es befürchtet, aber gehofft, dass wir uns irren. Und jetzt …» Er ließ den Satz unvollendet und schüttelte den Kopf.
    Robert sah ihn von der Seite an. Der alte Mann wirkte, als könne er sich kaum noch aufrecht halten. Die Angst musste ihm mehr zusetzen, als Robert sich vorstellen konnte.
    «Was ist damals passiert, als die Nussmanns in das Haus zogen?»
    Johann sah ihn kurz an, konzentrierte sich aber sofort wieder auf die Straße. Es ließ sich Zeit mit der Antwort, und Robert meinte schon, dass er keine bekommen würde. Schließlich setzte der alte Mann mit brüchiger Stimme an.
    «Wegen der Sache hat sich Hannas Mann zu Tode gesoffen. Er konnte damit nicht leben. Mir fiel es anfangs auch schwer, aber Maria war mir eine große Hilfe. Sie ist als Einzige nicht dabei gewesen, vielleicht lag es daran, ich weiß es nicht.»
    Eine Sturmböe traf den Wagen, als sie aus einem Waldstück auf offenes Gelände kamen. Johann klammerte sich ans Lenkrad, konnte aber nicht verhindern, dass der Daimler nach links auf die andere Fahrbahn gedrängt wurde. Ein paar Meter fuhren sie in der alten Spur des Cherokee, dann schaffte er es zurück auf die rechte Fahrbahn.
    «Wir sind gleich beim Haus. Die Zeit reicht nicht, um die ganze Geschichte zu erzählen. Aber eines will ich noch loswerden, bevor wir da reingehen.»
    Robert sah Johann aufmerksam an. «Und das wäre?»
    «Machen Sie sich auf alles gefasst. Ich seh Ihnen an, dass Sie noch immer nach einer logischen Erklärung suchen. Die werden Sie nicht bekommen.»
    Links tauchten die dunklen Schemen des Sasslingerhofs und der hohen Bäume auf. Johann ließ den Wagen ausrollen, steuerte ihn vorsichtig in die Einfahrt und stoppte, als sie noch ein gutes Stück vom Haus entfernt waren. «Näher fahr ich nicht ran», sagte er und stellte den Motor ab.
    Schweigend saßen sie nebeneinander, lauschten dem Sturm und beobachteten das Haus. Friedlich lag es vor ihnen, geduckt und zugeschneit, eine hohe Schneewehe vor der alten Tür. Die dunklen Fenster wirkten unheilverkündend, die Äste der gewaltigen Kastanie schienen nach dem Haus zu greifen.
    «Was wir jetzt tun, können wir niemals erklären», sagte Robert schließlich.
    «Ja, aber es muss trotzdem getan werden. Ich bin es Hanna schuldig … und Kristin und ihrer Tochter auch. Das muss jetzt ein Ende haben, ein für alle Mal.» Johann zögerte einen Moment und sagte dann leiser: «Es tut mir leid für die beiden. Sie verlieren ihr Zuhause.»
    «Aber sie werden leben. Und ich werde dafür sorgen, dass es ihnen an nichts fehlt.»
    Johann nahm seinen Blick vom Haus und sah Robert an. «Sie sind kein Polizist, oder?»
    «Sieht man mir das an?»
    «Ich weiß nicht, es ist nur so ein Gefühl.»
    «Ich werde Ihnen mein kleines Geheimnis später verraten, aber Sie dürfen es an niemanden weitergeben.»
    Johann lachte rau. «Ich denke, wenn das hier vorbei ist, haben wir alle unser kleines Geheimnis, nicht wahr?»
    Robert stimmte ihm zu. Dann drückte er ihm eine Flasche Brennspiritus in die Hand. «Wollen wir?»
    Johann nickte. Sie stiegen aus.

32
    Jeepis Handschuhfach bot eine erstaunliche Auswahl an Hörspielkassetten. Von Ronja Räubertochter über Benjamin Blümchen bis hin zu Bibi Blocksberg war alles vertreten.
    «Wollt ihr eine Kassette hören?», fragte Kristin, holte eine aus dem Fach, schob sie in den Schlund des Radios und drehte es laut genug, damit die Kinder alles verstehen konnten. Die Kassette war nicht zurückgespult, sofort legte Benjamin Blümchen los. Lisa und Toni, die zwischen Maria und Franziska im Fond saßen, wurden zunehmend unruhig und weinerlich; die Geschichte würde sie ablenken.
    Außerdem bot die laute Geräuschkulisse und das betretene Schweigen der
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