Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
halten.
    Â»Kann ich wenigstens mitkommen und fotografieren?«, rief er.
    Â»Wenn’s sein muss«, brummelte Javid.
    Wir fuhren in die Siedlung Waatch, gefolgt von Alisha und Tyler, Lorraine und meinem Vater.
    Zum ersten Mal sah Papa, wo ich all die vielen Stunden gewesen war und womit ich dort meine Zeit verbracht hatte. Als er das Kanu erblickte, kam er aus dem Staunen nicht mehr heraus.
    Javid war auffallend stumm geworden, das lag sicher an der Aufregung. Würde das Kanu auch seetüchtig sein oder war all die viele Arbeit umsonst gewesen? Das war die große Frage, die ihn seit Monaten bedrängte. Heute würde er eine Antwort darauf bekommen.
    Tyler spürte, was in seinem Freund vorging. Er klopfe Javid auf die Schulter und sagte: »Nun mach dich mal nicht fertig, alter Junge, es wird schon gut gehen. Hab einfach ein bisschen Vertrauen.«
    Natürlich war es uns zu sechst unmöglich, das Kanu aus dem Schuppen und über den Strand zu bringen, aber Tyler und Alisha hatten schnell ein paar willige Helfer engagiert, die jetzt nach und nach am Schuppen eintrafen.
    Â»Was wollen die denn hier?«, fragte Javid mit finsterer Miene, als er sich auf einmal von Menschen umringt sah.
    Â»Hast du gedacht, wir schaffen das allein?« Tyler schüttelte den Kopf. »Du kannst nicht alles alleine machen, Kumpel. Sie wollen uns nur helfen das Kanu ins Wasser zu bringen.«
    Die meisten Helfer waren junge Leute, einige Gesichter erkannte ich wieder. Aber auch ein paar ältere Männer und Frauen waren dabei. Vermutlich waren sie aus Neugier gekommen. Die meisten von ihnen zeigten sich erstaunt darüber, was da so ganz in ihrer Nähe in dem alten Schuppen entstanden war, während sie nichts davon geahnt hatten.
    Javids Brust schwoll vor Freude. Zu Recht. Das Kanu sah stolz aus mit seinem hohen Bug und dem schlanken Körper. Die Bemalung machte es zu etwas Besonderem, etwas, wodurch es sich von allen anderen Kanus unterscheiden würde.
    Eine Frau, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters mit anfassen wollte, umarmte Javid und beglückwünschte ihn zu seinem Kanu. »Jetzt, mein Junge«, sagte sie, »jetzt bin ich sicher, dass die Kanus nach Neah Bay zurückkehren werden.«
    Das Kanu wurde umgedreht und angehoben. Nun, da so viele starke Hände zupackten, schien es auf einmal kinderleicht. Am Ufer setzten die Träger es ab und die alte Frau holte eine Trommel hervor,um das Kanu mit einem alten Gesang zu segnen.
    Mein Vater fragte höflich, ob er sie dabei fotografieren dürfe, und die Frau nickte.
    Ehrfurchtsvoll lauschten alle dem Lied der alten Frau und dem dumpfen Klang der Trommel, der sich im Rauschen der Brandung verlor. Diesen Augenblick und Javids stolzes Gesicht würde ich nie vergessen. Ich wusste, was er jetzt dachte und sich wünschte.
    Javid Ahdunko hoffte, sein Vater könne ihn sehen und auch stolz auf ihn sein. Ich wünschte ihm dasselbe. Und dass sein Vater ihm nicht mehr in seinen Träumen erscheinen und ihn um die Einlösung eines unmöglichen Versprechens bitten würde.
    Nachdem die alte Frau ihr Lied beendet hatte, klatschten alle und klopften Javid auf die Schulter. Sie beglückwünschten ihn, denn mit seinem Kanu hatte er ihnen neuen Mut gemacht.
    Javid stieg zuerst ins Kanu und Tyler reichte ihm die beiden selbst gebauten Paddel. Sie hatten jetzt die perfekte Form, waren orange eingefärbt und mit mehreren Lackschichten versiegelt worden. Tyler McCarthy hatte sich selbst darum gekümmert.
    Er stieg zu Javid ins Kanu und Alisha reichte ihm die beiden Paddel, die sie von ihrem Vater für diesen Zweck bekommen hatte. Sie waren alt und das Holz fast schwarz, aber an ihrer Funktionstüchtigkeit gab es keine Zweifel.
    Als Nächstes kletterte ich in das Kanu und zuletzt Alisha. Viele Hände hielten es fest und schoben es durch die Brandung. Dann ließen sie los.
    Der große Moment war gekommen. Das Kanu lag sicher auf dem Wasser. Alle klatschten und schrien durcheinander und Javids Augen leuchteten vor Erleichterung.
    Ein Mann war mit seinem Motorboot ans Ufer gekommen und nun half er uns das Kanu über die Brandung hinaus aufs offene Meer zu ziehen. Die Helfer am Ufer winkten und wir winkten zurück. Das Motorboot ließ uns von der Leine. Javid übernahm das Kommando und wir stachen unsere Paddel in den Ozean, der dunkel und friedlich war.
    Vielleicht war es für Javids Vorfahren selbstverständlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher