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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori
Autoren: Emma Temple
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heißt John. Vielleicht passt er ja
genetisch zu seiner kleinen Großnichte. Außerdem wird es doch allmählich Zeit,
dass wir mit dem Rest der Familie Kontakt aufnehmen.«
    Â»Morgen früh fahren wir ins Krankenhaus«, ergänzte John. »Du kannst
uns gerne bei Sina ankündigen …«
    Katharina griff zum Telefon und wählte die inzwischen vertraute
Nummer von Sina und Brandon. Ihre Freundin meldete sich mit einer so müden und
angespannten Stimme, dass Katharina vor Mitleid fast übel wurde. »Hi, hier ist
Katharina. Stell dir vor: Ich habe ihn gefunden!«

CHRISTCHURCH, 1998

    20.
    Â»Jetzt können wir nichts
mehr tun. Nur noch beten, Kerzen in Kirchen anzünden oder einfach hoffen …«
Sina ließ sich schwer auf einen der schlichten Stühle aus Plastik im
Wartezimmer des Krankenhauses fallen. Sie sah ihren Onkel neugierig an und
schüttelte leicht den Kopf. »Dass du die ganze Zeit in Christchurch warst – das
kann ich einfach nicht glauben! Du hättest jederzeit einem von uns auf der
Straße oder in einem Restaurant begegnen kön-nen …«
    Â»Ihr hättet mich nicht erkannt«,
erklärte John ruhig. »Keiner von euch, der mich gesehen hätte, hätte mich
erkannt. Menschen sind so. Sie berechnen in einem fort Wahrscheinlichkeiten und
rechnen nicht mit dem Unwahrscheinlichen. Der Einzige, den ich hätte fürchten
müssen, wäre Ewan gewesen. Aber der war ja wohl die ganze Zeit im Büro – das
hat mir zumindest Fiona immer erzählt. Keine Gefahr also.« Er sah auf das
kleine Pflaster in seiner Armbeuge. »Was passiert jetzt weiter?«
    Â»Wir brauchen ein paar Tage, bis das Blut typisiert ist – dann
wissen wir, ob du ein passender Spender bist. Ich kann es wirklich nur hoffen …
Bis jetzt haben wir noch niemanden gefunden, der zu Ava passt, und sie braucht
diese Transplantation mit jedem Tag, der verstreicht, dringender. Möchtest du
sie denn kennenlernen?«
    John nickte und stand auf. »Ja. Ich kann es kaum erwarten, seit
Katharina mir von ihrer Existenz erzählt hat. Das ist so wie die Geburten von
Brandon und Caithleen – bei den beiden bin ich sogar heimlich in die
Entbindungsstation geschlichen, um sie zu sehen!«
    Â»Irgendwie unheimlich«, meinte Brandon mit einem schiefen Lächeln.
»Dass du wie eine Art Geist die ganze Zeit unser Leben begleitet hast …«
    Sie gingen gemeinsam durch die langen Gänge des Krankenhauses, bis
sie die Onkologiestation erreichten. Hier lagen die Krebskranken, einer der
deprimierendsten Orte überhaupt. Aber Sina schien das nicht einmal zu bemerken,
schob Türen auf und lief durch Schleusen – bis sie vor dem kleinen Mädchen mit
den grünblauen Augen standen, das seiner Mutter um den Hals fiel und dann ernst
seinen Großonkel betrachtete. Sie reichte ihm ihre kleine Hand. »Ava wieder
gesund?!«
    John nickte. »Das wäre doch schön, oder?«
    Die Kleine lächelte – aber John musste sich schrecklich beherrschen,
um angesichts ihrer Blässe und ganz offenkundigen Schwäche nicht in Tränen
auszubrechen. Dieses kleine Mädchen war schon vom Tod gezeichnet – und John
konnte es nicht fassen, dass alle einfach so taten, als hätte sie nur einen
Schnupfen. Sahen sie denn nicht, wie schlecht es ihr ging? Er atmete tief durch
und versuchte, sich zu beruhigen. Doch. Sie sahen es auch, und sie wussten es –
wahrscheinlich viel besser als er. Aber sie konnten nicht die ganze Zeit
heulend bei dem kleinen Kind sitzen. Also klammerten sie sich mit aller Macht
an die wenige Hoffnung, die sie noch hatten. An ihn.
    Es war später Nachmittag, als sie endlich das Krankenhaus verließen.
Sina blieb allerdings bei ihrer Tochter, während Brandon seinen Onkel mit nach
Hause nahm. »Komm, wir werfen den Grill an«, meinte er. »Du wirst doch sicher
Hunger haben! Und Matiu und Katharina warten sicher auch auf Neuigkeiten!«
    John nickte und schob das kleine Gartentürchen auf. Ein ruhiger
Abend, an dem man ein bisschen Dasein als Familie nachholen konnte – das klang
wie ein guter Plan. Doch noch bevor er die Terrasse betreten konnte, erhob sich
dort ein dunkelhaariger Mann mit dunklen Augen in einem hellblauen Hemd. Der
Mann musterte ihn genau und nickte schließlich – als sei er sich erst jetzt
sicher, dass er wirklich die richtige Person vor sich hatte.
    Â»Du bist also
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