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Der Gesang der Haut - Roman

Der Gesang der Haut - Roman

Titel: Der Gesang der Haut - Roman
Autoren: Picus-Verlag
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Klara lag auf der blauen zerbröckelnden Betonfläche, ein Bein leicht angewinkelt, wie eine Tote, wie in einem Film. Und er stand vorerst versteinert da, eine Statue am Rand des Beckens, rief dann zitternd ihren Namen. Gleichzeitig aber hörte er Klaras Stimme hinter seinem Rücken: Ich hörte, du suchst mich? He, Viktor, was machst du da? Viktor war hinuntergesprungen und ausgerutscht, er kroch auf dem Zementboden auf allen vieren zu dem Körper, der da lag: Nicht Klara, die vom Rand aus weiter fragte, welche Tarantel ihn gestochen habe, und dann selbst einen erstickten Schrei ausstieß, als sie sah, dass neben Viktor ein Mensch lag, eine Frau in gelbem Kleid. Moira, rief Viktor, Moira, was ist passiert? Und zwei Meter weiter lag etwas, das wie eine Kamera aussah.

(Moira)
    J etzt ist mein Dokumentarfilm über die Haut eine Geschichte der Gerlachs, eine Geschichte von unsereins geworden. Und da die Variationsbreite einer Geschichte, Viktor, unendlich ist, jede Version, wie dieses Wort es besagt, wendbar und je nach der Figur und deren Blick ausdehnbar, kann ich sie so wenden, wie es mir gefällt.
    Ich liege also auf dem blauen, zerbröckelnden Zementboden, nicht weit von meiner kaputten Bolex. In der rechten Hand deinen Pulli: Ich hatte versucht, mich daran zu klammern, als sie mich samt Kamera in das Becken schob. Ich spüre höllische Schmerzen im linken Bein und an der linken Schulter, zwei Brüche am Knöchel wird man später diagnostizieren, die Schulter ist ausgekugelt, etwas Warmes läuft mir über die Stirn, eine Platzwunde wahrscheinlich, die ich aber noch nicht spüre, ich kann noch nicht sprechen, nicht rufen. Ich bewege keinen Finger, wer weiß, ob meine Wirbelsäule noch intakt ist, ich schaue nur zum Himmel hin, tauche ein in die Milchstraße, Millionen Sterne senden mir ein jahrhundertealtes Licht, Millionen Sonnen für ein gefallenes Menschenkind. Wir haben Glück mit dem Wetter, sagen die Bescheidenen. Hinter mir die düsteren Umrisse der Waldbäume unter dem Mond. Ein lauer Wind bringt mir Afrikas Geräusche, das Brummen und Sirren, das Gemurmel und Tropfen des Tropenwalds, dort, wo du hinter den Gepäckträgern bald laufen wirst, denn feststeht, dass du deinen Kilimandscharotraum mit Leo erfüllen wirst. Ich vernehme das Rascheln gigantischer, sich windender Lianen, sie atmen, wenn sie sich um Bäume ranken, ich höre das Surren der Baumwipfel, ein Wortgeplätscher des Regens, ein Knistern des Lichts zwischen den Stämmen und Zweigen, Insekten zirpen, Frösche schnalzen, Baumstämme ächzen, Trommeln wirbeln in der Weite, wo meine Eltern meine Rückkehr feiern, singen und ihren Mangosaft schlürfen, alle vergangenen und zukünftigen Geräusche münden in dieses verlassene Becken, wo meine großen scharfen Ohren sie wahrnehmen, und sie mischen sich mit dem hiesigen, längst vergangenen Spielgeschrei schwimmender Kinder, und mit deiner Stimme, meine Liebe, voller Angst deine Stimme, Moira, wie schön und verzweifelt es in deinem Mund klingt, Moira. Ich versuche, doch eine Hand zu bewegen, die rechte ist unverletzt, dann spüre ich deinen Mund an meinen Lippen und vernehme konfus weit entfernte Gespräche und Frauenlachen, ein Akkordeon, die Melodie eines Volkslieds entfaltet sich, ich liege in Deutschland, in der Nähe von Köln, im Haus der Gerlachs, in Gerlachs leerem Schwimmbecken, Henrietta spielt Bandoneon, arme Henrietta. Einen kleinen Wunsch hat sie sich erfüllt, und mich schon vergessen, ihren Zorn verdrängt und ihren Wutanfall. Ich wollte als letztes Bild den leeren Swimmingpool filmen, was sie wütend machte, arme Henrietta, ihrem Wahnsinn ergeben, die ihren Mann und deine Klara überall suchte und nicht fand, dafür aber mich, und rief, wo ist mein Mann, mein Mann, mein Mann, wo ist er, und versuchte, sich meine Bolex zu schnappen, als hätte dieser Apparat ihren Gert geschluckt, als wollte ich ihn nur für mich darin gefangen halten, und ich kämpfte um meine Kamera, kämpfen aber liegt mir nicht, sie schrie, sie schob und ich fiel, und mit mir unsere bibbernde Geschichte, wir fielen ins fehlende Wasser, und jetzt wird sie lang hinken, unsere Geschichte, bei jedem meiner Schritte zittern und verwackeln.
    Geschichten sind dehnbar, um Gottes willen, ich will diese nicht ausdehnen, nur ein bisschen verdrehen, um das zu retten, was zu retten ist. Ich liege also am Boden des trockenen Beckens und versuche mit aller Kraft, das abzuwenden, was passieren soll, was ich schon den ganzen Abend
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