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Der Geruch von Blut Thriller

Titel: Der Geruch von Blut Thriller
Autoren: Tom Piccirilli
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allein sind und nichts Berufliches zu besprechen haben, reden sie offen und teilweise sehr tiefgründig miteinander.

    Die Menschen öffnen sich ihm, weil sie ihn sehen können, er sie aber nicht. Das ist, wie mit einem Baby Kuckuck zu spielen. Wenn man jemanden nicht sieht, weiß man auch nicht, was er tut. Man ist eigentlich gar nicht da.
    Es fängt an zu schneien, Eiskristalle fliegen gegen die Scheibe.
    Judith schnippt die Zigarette aus dem Fenster. Wenn es taut, können Murphy und seine Leute tagelang die Baumwollfilter aus den Büschen sammeln. Und Murphy wird zu ihr hochbrüllen: »Scheiße, kannst du nicht Camel Ohne rauchen oder endlich auf Pfeife umsteigen?«
    Sie schließt vorsichtig das Fenster und unterdrückt einen Seufzer. Es gelingt ihr nur teilweise. Er weiß, dass sie sich nach Murphy verzehrt. Oder ihn zumindest begehrt.
    Finn sitzt in dem bequemen Besuchersessel und formuliert seine Frage nochmal neu: »Was machst du noch hier, Judith? Warum fährst du nicht nach Hause zu deiner Familie?«
    »Warum bitte sollte ich mir das antun?«
    Er muss lächeln. »Wieder Ärger?«
    »Worauf du dich verlassen kannst, und zwar dauerhaften.«
    »Du solltest dich besser auf den Weg machen, sonst kommst du noch in den Schneesturm.«
    »Das wäre immerhin ein perfektes Alibi. Nicht, dass ich eins bräuchte.« Sie verändert ihre Position, verlagert das Gewicht auf einen Fuß. »Es gibt niemanden, mit dem ich darüber sprechen kann.« Sie räuspert sich. »Ich bin sentimental, ich weiß, aber sei bitte nachsichtig mit mir.«

    »Du hast doch nicht etwa vor, die ganzen zwei Wochen hierzubleiben, oder?«
    »Warum nicht? Ich habe Urlaub. Wenn ich nach Hause fahre, wird das alles andere als erholsam. Der Baum steht noch nicht. Die Geschenke sind noch nicht eingepackt, wenn es auch nicht viele sind. Mein Sohn hat die letzten acht Monate nicht gearbeitet. Ich habe nicht die Kraft, mit ihm zu streiten, also bin ich genauso verantwortlich beziehungsweise unverantwortlich wie er. Mein Mann hat fünfundzwanzig Jahre bei der Feuerwehr verbracht, ist jetzt im Ruhestand und arbeitet in den Ferien immer noch ehrenamtlich. Er war die letzten vier Jahre weder Weihnachten noch Silvester zu Hause, das sind achtzig Prozent unserer Ehe. Er verspürt nicht mal den Drang, mich zu betrügen, was ihm wirklich guttun und ihn wenigstens ein bisschen glücklich machen würde. Und das würde mich freuen. Nein, ich sehe wirklich keinen Grund, warum ich nach Hause fahren soll.«
    Zu Hause ist vierzig Minuten entfernt über die Grenze in einem hübschen kleinen Ort in Connecticut. Ihr Mann heißt Mike oder Mark, aber so nennt sie ihn nie. Ihr Sohn heißt Billy. Oder Bobby. Billy-Bob? Auch seinen Namen spricht sie nie aus. Finn fragt sich, was seine Psychiaterin dazu sagen würde. Ist das einfach nur Entfremdung oder schon Entmenschlichung?
    Andererseits denkt er bei seiner Psychiaterin auch nie an ihren Namen, sie ist einfach nur seine Psychiaterin. Vielleicht bringt er das Thema, Namen durch Titel zu ersetzen und was die psychologischen Auswirkungen sind, nächstes Mal zur Sprache. Falls er nochmal hingeht.

    »Du könntest ein paar Waisenkinder zu dir nach Hause einladen«, sagt Finn. »Gib denen die Spielsachen, mit denen dein Kind nicht spielt.«
    »Mein Kind ist zweiunddreißig.«
    »Du könntest Schneemänner bauen, in die Kirche gehen, den reichsten, kaltherzigsten Mistkerl von Connecticut ausfindig machen und seine eisige Hülle zum Schmelzen bringen. Damit alle erfahren, was Weihnachten wirklich bedeutet. Und damit die Engel ihre Flügel bekommen.«
    »Scheiß drauf«, sagt Judith. Sie ist von Natur aus vulgär, und es kostet sie einige Mühe, sich vor den Mädchen zu beherrschen. Wenn sie die Möglichkeit hat, Dampf abzulassen, dann tut sie es. »Mein Kind bekommt drei verschiedene Antidepressiva verschrieben. Er hatte nie einen festen Job, nie eine Freundin und spielt den ganzen Tag im Internet World of Warcraft mit irgendwelchen Leuten in Senegal und Polynesien.«
    »Wirklich?«
    »Glaubst du vielleicht, ich denke mir das aus?«
    »Ich meine, Polynesier sitzen am Computer? Wo sie doch draußen in der Natur sein könnten, im wunderbaren … Polynesien?«
    »Sieht so aus.«
    »Mein Gott.« Finn sieht jede Menge barbusige braungebrannte Frauen in Baströckchen tanzen, mit Blumen bedeckt und frischen Dschungelfrüchten in der Hand. »Na ja, wir könnten uns mit Eierlikör betrinken.«
    »Der Gedanke ist mir schon wiederholt gekommen,
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