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Der Geruch von Blut Thriller

Titel: Der Geruch von Blut Thriller
Autoren: Tom Piccirilli
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die in den Fünfzigern und Sechzigern Aufsehen erregten. »Es ist unglaublich, wie repressiv die Schulbibliothek ist«, sagt sie jetzt. »Wussten Sie, dass jemand das Wort ›fuck‹ aus dem Fänger im Roggen radiert hat? Und aus jedem ›gottverdammt‹ haben sie das ›gott‹ gestrichen. Ist das nicht illegal?«

    »Hört sich an, als wäre es die Bibliothekarin gewesen.«
    »Ich weiß nicht, wer das macht. Und meine Mutter würde sowieso durchdrehen, wenn sie wüsste, dass ich Schlachthof 5 und Even Cowgirls Get the Blues lese, oder On the Road .«
    Da hat sie Recht, das würde sie, ohne überhaupt zu wissen, warum. Nur weil ihr irgendjemand gesagt hat, dass man bestimmte Bücher nicht lesen soll, vor allem nicht als junges Mädchen an einer Privatschule. Aber Finn ist der Meinung, dass Eltern, die ihre Töchter auf das St. Valarian’s Mädcheninternat schicken, sowieso nach völlig überholten Sittenvorstellungen leben. Diese Schule hat viel zu bieten, ist aber letztendlich nur etwas für Idioten.
    Mädchen, warum liest du nicht Judy Blume?, denkt er. Oder Jackie Collins? Warum stellst du nicht im Internet irgendwelchen Sportskanonen nach? Was interessierst du dich für Billy Pilgrim, Sal Paradise und Sissy Hankshaw?
    Sollen die Eltern ruhig durchdrehen. Ihm doch egal. Inzwischen weiß er, dass er sich eine Menge erlauben kann. Den Leuten ist es viel zu peinlich, sich zu beschweren.
    »Du verrätst mich nicht, und ich verrate dich nicht«, sagt er. »Abgemacht, Jesse?«
    »Abgemacht, Mr. Finn.«
    »Gut.«
    Sie greift nach den Büchern und lässt sie fast fallen. Ihr Atem riecht nach einer Mischung aus Fruchtgummi, Mint-Zahnpasta und Duchess’ Frühstück aus Waffeln und Eggs Benedict. Der Sirupgeruch ist penetrant. »Heute Abend wird es schneien. Der Mantel, den Sie immer anhaben,
wenn Sie spazieren gehen, ich glaube nicht, dass der warm genug ist. Wenn Sie wollen, laufe ich schnell zu Ihnen rüber und hole Ihnen etwas Wärmeres.«
    »Danke, Jesse, das brauchst du nicht.«
    »Ich glaube aber, dass es besser wäre.« Sie klingt etwas streng, wie eine Mutter, die allmählich die Geduld verliert.
    »Ich friere schon nicht.«
    »Es macht mir echt nichts aus. Es dauert nur ein paar Minuten, und ich denke, ich sollte …«
    »Das ist wirklich nicht nötig«, sagt er verständnisvoll, aber auch ein bisschen genervt von ihrer übertriebenen Fürsorge. Es wäre so leicht, einfach nachzugeben, schwach zu werden, so wie er es bei Vi fast geworden wäre. So wie die Welt ihn haben will, damit sie ihn kleinhalten kann. »Ich komm schon klar.«
    »Und Sie brauchen eine Mütze. Sie haben nie eine Mütze auf. Vielleicht bringt Ihnen der Weihnachtsmann ja eine.«
    Sie geht, bleibt kurz in der Tür stehen, sieht ihn einen Moment an und schlendert dann den Korridor hinunter. Sie wird nicht zur Krankenschwester gehen. Sie wird sich das Taschentuch mit seinem Monogramm um die Wunde binden und auf seine Initialen starren. Vielleicht kauft sie ihm eine Mütze. Sie wird die infantile Unterhaltung von gerade eben wieder und wieder durchgehen, bis sie eine andere, viel größere Bedeutung bekommt. Er war auch mal sechzehn. Ein spindeldürrer Junge mit linkischem Gang.
    Sie glaubt, dass sie etwas verbindet. Sie sind beide einsame Außenseiter, zwei Gleichgesinnte unter den paar anderen, die in den Winterferien dageblieben sind, weil
sie keine Familien haben oder aus irgendwelchen anderen Gründen. Finn zählt kurz durch. Es sind noch zehn Schülerinnen und Angestellte der Schule auf dem Campus. Elf, wenn Vi noch da ist, was anzunehmen ist.
    Natürlich ist sie noch da.
    Roz’ Wagen springt vorne auf dem Parkplatz an. Grummelnd, stotternd und gurgelnd. Sie fährt mit Duchess noch ein paar Vorräte für das Weihnachtsessen besorgen, bevor der Schnee kommt.
    Der Geruch von Jesses Blut schwebt weiter im Raum, und in seinem Kopf ist es immer noch rot und klebrig.
    Er holt die Flasche Kölnischwasser aus dem Schreibtisch, tupft ein bisschen davon auf seinen Zeigefinger, legt ihn an die Oberlippe und atmet tief ein. Das Bild bleibt, seine tote Frau Dani, wie sie ihm nackt in die Augen sieht, ihm den 38er Smith & Wesson ins Gesicht hält und abdrückt.

D as St. Valarian’s Mädcheninternat ist eine kleine, aber angesehene Einrichtung mit einem relativ überschaubaren Kollegium. Vier Nebengebäude umgeben die drei anderthalb Jahrhunderte alten Haupthäuser, die unter Denkmalschutz stehen, weil auf ihren Stufen irgendein unbedeutendes
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