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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte
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sprach vier Sprachen fließend. Er war umgänglich, freundlich, optimistisch, und vor allem war er liebevoll. Das waren aber längst noch nicht alle positiven Eigenschaften, die er besaß. Er hatte so viele, dass er einen Großhandel damit hätte aufmachen können.
    Ich wüsste nicht zu sagen, welches wesentliche Element dagegen ich in unsere Beziehung eingebracht hätte. Stabilität vielleicht. Langeweile.
    Ehre, wem Ehre gebührt.
     

3
     
    Isabelles schulterlanges Haar hing ihr in Form zweier in Auflösung begriffener Zöpfe über die Schultern. Bastian musste auch dringend mal wieder zum Friseur. Sein dunkles, strubbeliges Haar reichte ihm schon bis über die Ohren.
    Ich hatte erwartet, dass sie sich an mir festklammern würden, ganz beeindruckt von unserem neuen Haus, von der Umgebung und dem vielen Platz, aber weit gefehlt. Kaum hatten sie sich von den Autogurten befreit, stoben sie schon johlend durch die Flure. Bastian machte Gespenstergeräusche, und Isabelle stieß kleine Schreie aus. Sie waren völlig aus dem Häuschen.
    »Wir sind in Frankreich!«, hörte ich Isabelle rufen. »Frankreich, Frankreich, Frankreich!«
    »Voll cool.«
    »Das wird mein Zimmer!«
    »Nein, meins!«
    »Wo ist denn das Schwimmbad?«
    »Das gibt’s noch gar nicht, du Dumpfbacke, das muss Papa doch erst bauen.«
    Ben, mein hochgeschätzter Schwager, der immer aussah wie ein pensionierter Hausmeister, stand da, kratzte sich an seinem immer kahler werdenden Hinterkopf und sagte nun schon zum dreißigsten Mal: »Meine Güte, da hast du aber noch ganz schön was vor, Eric.« Er drehte sich zu mir um: »Und du auch, Simone. Ganz schön tapfer. Mein Ding wäre das nicht.«
    Ellen stand neben ihm. Sie sah erschöpft aus. Die Reise hatte fast dreizehn statt zehn Stunden gedauert, weil Ben irgendwo in Belgien falsch abgebogen war und das erst nach hundert Kilometern zugegeben hatte. Ein Teil des Autobahnrings um Paris war wegen Straßenarbeiten gesperrt gewesen, und so waren sie im Zentrum gelandet, wo der Verkehr geradezu hoffnungslos gewesen war. Kurz, die Reise war nicht gerade reibungslos verlaufen.
    »Schön ist es hier ja schon«, bemerkte Ellen. »Mit so viel Natur. Aber auch schwer zu finden. Die Straßen sehen alle gleich aus. Und nirgends gibt es Schilder.«
    »Bist du sicher, dass du nicht doch noch einen Kaffee willst?«, fragte ich.
    »Nein, Simone, vielen Dank«, sagte Ben. »Wir lassen euch schön allein hier. Ich habe auf dem Weg ein Hotel gesehen, ziemlich nahe an der Stadt, da fahren wir jetzt hin. Morgen früh geht’s ja schon wieder zurück, und ich will möglichst ausgeruht sein, wenn ich mich hinters Steuer setze.«
    Wir gingen mit den beiden über das Grundstück. Sanft fiel der Regen in das Unkraut und sickerte durch den beigefarbenen Schotter in den Boden.
    »Und was für ein schönes Haus!«, beeilte Ellen sich zu versichern, als sie pro forma noch schnell einen Blick darauf warf. »Wirklich wundervoll, mit den Steinen und der Treppe. Und dann dieser Turm, herrlich! Wir kommen bestimmt noch mal wieder, wenn es nächstes Jahr fertig ist, aber …«
    »Ihr habt noch ganz schön was vor«, eilte Ben ihr zu Hilfe.
    Ich rang mir ein Lächeln ab.
    Keine Stunde war seit ihrer Ankunft vergangen, da standen wir schon wieder bei der Wagenspur, die zur Straße führte, und winkten Ben und Ellen in ihrem grünen Toyota nach, bis sie außer Sicht waren.
    Die Dämmerung war angebrochen. Der Himmel nahm diverse Orangetöne an, und überall waren zirpende Grillen zu hören. Überwältigend.
    Vom Haus wehten die Kinderstimmen herüber, fröhliches Gelächter. Dann kamen Bastian und Isabelle übermütig und voller Tatendrang nach draußen gerannt.
    »Kommt mal her«, sagte ich, ging in die Hocke und drückte links und rechts je ein Kind kräftig an mich. »Hat’s euch gefallen bei Onkel Ben und Tante Ellen?«
    »Ja, super«, antwortete Bastian, »wir durften selbst entscheiden, was wir essen wollten.«
    »Und wann wir ins Bett wollten!«
    »Und was habt ihr gegessen?«, fragte ich.
    »Pfannkuchen mit Marmelade, Pommes frites …«
    »Schokolade!«, warf Isabelle ein.
    »Freut ihr euch denn auch, dass ihr jetzt wieder bei uns seid?«
    »Doch, natürlich«, sagte Bastian plötzlich ganz ernst. Er sah zum Haus hinüber, ich folgte seinem Blick. Mit dem hohen Turm auf der rechten Seite hob sich das Gebäude immens groß und dunkel von dem nunmehr purpurfarbenen Himmel ab.
    Es hatte den Anschein, als hielten die Grillen kurz in ihrem
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