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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte
Autoren: authors_sort
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kälter als draußen. Als Erstes schlug mir der Geruch von nassem Mauerwerk und modrigem Holz entgegen. Auf dem Boden lagen Dielen. Von der Wand blätterte olivgrüne Farbe, und an einigen Stellen hatte sich die Tapete abgelöst, die braune Schimmelflecken aufwies.
    Von der geräumigen dunklen Diele aus führte eine breite Holztreppe zu einer Balustrade im ersten Stock. Es war noch deutlich zu erkennen, dass dies einmal ein stattliches Haus gewesen war. Früher hatte hier wahrscheinlich ein Kronleuchter von der Decke gehangen und ein sanftes, funkelndes Licht verbreitet. Schon klangen mir die gedämpften Gespräche im Ohr. Klaviermusik, der helle Klang von Gläsern beim Anstoßen.
    Ich fröstelte und zog den Mantel enger um mich, hielt den Aufschlag mit der Hand fest und hob den Blick. Zwei Stockwerke über mir war das Schieferdach. Durch die undichten Stellen plätscherte Regenwasser, die Tropfen kamen vor meinen Füßen auf.
    Ich hatte dieses Haus anders in Erinnerung.
    Vielleicht hatte ich es mir schöner gedacht, seit wir zum ersten - und letzten - Mal hier gewesen waren. Im Mai, vor beinahe vier Monaten, hatten wir es aus einer spontanen Anwandlung heraus von einem englischen Makler gekauft.
     
    Sanierungsbedürftiges charmantes und stilvolles Wohnensemble auf Hügelkamm, XVIII. Jahrhundert. Gesamtwohnfläche 500 m 2 . Hauptgebäude (ca. 300 m 2 ), teils mit ursprünglichen Bauelementen ( cheminée , Eichendielen), Weinkeller und Turm. Eigene Quelle mit Brunnen sowie diverse Nebengebäude, u. a. ein Taubenschlag, ein Kornspeicher und ein gleichfalls sanierungsbedürftiges Steinhaus von 60 m 2 . Mindestens 8 Hektar Grund, davon 3,5 Hektar Wald, sowie ein kleiner Fischteich. Panoramablick über die Hügel. Einsame Lage mit viel Privatsphäre (nächste Nachbarn in 1 km Entfernung), 20 min. Autofahrt zu lebhafter Stadt mit guten Einkaufsmöglichkeiten. Vielfältige Nutzungsmöglichkeiten, für Ruhebedürftige ebenso geeignet wie für gîtes, chambres d’hôtes oder als Hotel.
     
    Im Mai hatten die Bäume und Felder noch in voller Blüte gestanden. Weiße Blüten von Birnbäumen, das überschwängliche Lila von wildem Flieder und gelbe Rapsfelder. Strahlende Sonne vor leuchtend blauem Himmel. Von Wolken keine Spur. Bis zum Horizont erstreckte sich ein Meer von Hügeln in allen denkbaren Violett- und Blauschattierungen. Schwalbenschwärme tauchten im Sinkflug hinter das Haus ab und schwangen sich wieder in die Höhe, auf der Suche nach Insekten oder einem Nistplatz. Die Düfte von Kräutern und Blumen, süß und überwältigend, herangetragen von einer sanften Brise und begleitet vom Gequake der Frösche in dem tiefer gelegenen kleinen See, unten im Tal am Rand des Waldes.
    Eric hatte eine Flasche Bordeaux aufgemacht, die wir auf dem verwachsenen Hof bis auf den letzten Tropfen leerten.
    Wir hatten uns genau so benommen, wie man das in einer solchen Situation eben tut. Glückstrunken, berauscht. Hier war das Paradies, ein Ort, wo sich Märchen ereigneten. Hier würde unser neues Leben beginnen.
     
    »Ich weiß, was du denkst«, sagte Eric neben mir. Er strich über die Wand und rieb mit dem Daumen über die grünlichbraune Substanz, die ihm danach an den Fingern klebte. »Aber es wird schon gut gehen, wirklich. Es wird fantastisch, Simone. Super wird es.«
    Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Mir ging auf einmal so viel durch den Kopf.
    Schweigend durchquerten wir die Diele. Unsere Fußtritte auf dem Eichenholzboden wurden von fernem Donnergrollen übertönt. Eric betrat den linken Flügel. Ich blickte ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war.
    Direkt unter der Balustrade, rechts von der Treppe, befand sich ein Raum mit gelben Kacheln. Darin stand ein alter weißer Spülschrank, über dem ein Durchlauferhitzer hing. Ein Wirrwarr von Bleileitungen mit weißem Oxidationsbelag zog sich kreuz und quer über die braun angelaufene Wand. Auf den Bodenfliesen hatten sich kleine Pfützen gebildet. Ich ging in die Hocke und strich mit den Fingerspitzen hindurch. Kalt und glibberig.
    Ein Gedanke drängte sich mir auf, den ich vergeblich wegzuschieben versuchte. Ich sah meine Mutter vor mir. Ihr unergründlicher Blick ruhte erst auf den von Schimmel überzogenen Wänden, wanderte dann zu den Löchern im Dach und den desolaten Wasserleitungen. Während sie mit ihren hohen Absätzen ängstlich um die Pfützen herumstolzierte, hielt sie ständig ihren Rock hoch, damit der feine Stoff am allgegenwärtigen Schmutz des
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