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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte
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ich meinen Mantel vom Bett und lief ebenfalls in den Flur hinaus. Er hatte Bruno eingeholt, hielt ihn mit wenig Feingefühl fest und redete auf ihn ein. Bruno riss sich los und brüllte uns an, erst mich, dann Michel.
    Der fasste ihn am Arm und zerrte ihn zurück ins Zimmer. Von dem Wortwechsel der beiden verstand ich nicht einmal die Hälfte. Sie redeten wild durcheinander, und ich blieb an der Tür stehen, stumm, weil mir nichts einfiel, womit ich Bruno hätte beruhigen können.
    Michel war auch nicht gerade die Ruhe selbst.
    Wahrscheinlich verschwand ich besser kurz und ließ die beiden in Ruhe. Über den Flur ging ich zur Toilette. Gedämpft drangen ihre Stimmen zu mir, während ich mich im Spiegel ansah und versuchte, mich zu beruhigen.
    Ich hatte Angst. Bruno war völlig durch den Wind. Michel hatte seine Gefühle nach außen hin besser unter Kontrolle, aber innerlich kochte auch er. Kein bisschen ruhiger als zuvor trat ich wieder auf den Flur und wäre fast mit Bruno zusammengestoßen. Er würdigte mich keines Blickes, sondern lief mit schnellen Schritten die Treppe hinunter. Zur gleichen Zeit kam Michel aus seinem Zimmer und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
    »Ich fahre lieber mit«, sagte er und hielt ebenfalls auf das Treppenhaus zu, »sonst geschieht noch ein Unglück.«
    Ich eilte den beiden nach.
    »Seid bloß vorsichtig, Peter ist richtig gefährlich!«, rief ich ihnen von der Haustür aus hinterher.
    Michel antwortete nicht, schaute aber beim Überqueren der Straße noch mehrmals zu mir zurück. Auf der anderen Straßenseite hatte Bruno bereits den Wagen angelassen und ließ nun ungeduldig den Motor aufheulen. Ich schlang die Arme um den Körper und sah zu, wie die beiden die Rue Charles de Gaulle hinunterfuhren und dann links abbogen, kurz bevor die Ampel auf Rot sprang.
     
    Zehn Minuten später stand ich noch immer wie gelähmt auf dem Bürgersteig und starrte zu der Kreuzung hinüber. Zeit existierte nicht mehr. Es gab keine Welt mehr, keine Wirklichkeit. Ich stand da wie betäubt, außerstande mich zu rühren, als wäre ich plötzlich in eine andere Dimension hineingeraten.
    Langsam wurde mir klar, was ich gerade in Gang gesetzt hatte. Hierher zu kommen war ein Fehler gewesen. Was würde nun geschehen?
    Was hatte ich getan?
    Zitternd ging ich zu meinem Wagen zurück und suchte nach dem Autoschlüssel. Meine Manteltasche fühlte sich ungewöhnlich leicht und leer an. Links wie rechts. Leer. Die Schlüssel steckten in der Innentasche.
    Aber mein Portemonnaie war verschwunden.
    An dem Sonnenlicht, das durch das kleine Fenster meiner Zelle einfällt, merke ich, dass der Morgen angebrochen ist. Dies ist mein dritter Tag hier. In der letzten Nacht habe ich kein Auge zugetan, nur dagelegen und meinem eigenen Atem gelauscht.
    Ich fühle mich immer noch krank und schwach, aber meine grauen Zellen sind wieder in Gang gekommen. Langsam werde ich ruhiger, gelassener.
    Peter ist ermordet worden. Er ist tot. Was genau ist geschehen? Wo? Wer? Die Unsicherheit nagt an mir. Bruno war aufgebracht, aber Michel war … rasend.
    Ich hätte ihm nichts erzählen dürfen. Ich hätte den Mund halten sollen. Oder wenigstens mitfahren, die beiden nicht alleine losziehen lassen. Dann wäre es vielleicht anders gekommen.
    Hätte ich irgendetwas tun können, um es zu verhindern?
    Ich setze mich auf, lege die Arme um die Knie und konzentriere mich auf das rechteckige Fenster direkt unter der Decke. Zu spüren ist die Sonne hier drinnen nicht, die Wärme dringt nicht durch, aber zu sehen ist sie doch, als länglicher Lichtquader, der einen Teil der Zelle und der Pritsche erhellt.
    Das Portemonnaie, mein Portemonnaie: dazu hat der Ermittler gestern eine Frage nach der anderen gestellt. Sie haben immer weitergebohrt, als ob es außerordentlich wichtig wäre. Ein Beweisstück. Ob sie bei Michel eine Durchsuchung gemacht und es gefunden haben? Dann stand er jetzt unter Verdacht. Oder glauben sie, dass ich bei der Tat geholfen habe? Was wissen sie, was haben sie alles gefunden?
    Wenn sie Michels Zimmer durchsucht haben, haben sie bestimmt auch Peters Haus auf den Kopf gestellt. Seine Buchhaltung unter die Lupe genommen, seinen Computer, sein Handy …
    Ich fahre mir mit den Fingern durchs Haar. Es ist verfilzt, fühlt sich trocken und spröde an.
    Bestimmt haben sie das Foto gefunden. Das Foto von Michel und mir. So sind sie drauf gekommen: mein Portemonnaie bei Michel zu Hause und ein Foto von uns beiden auf Peters
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