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Der Gelbe Nebel

Der Gelbe Nebel

Titel: Der Gelbe Nebel
Autoren: Alexander Wolkow
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nicht sinken! Halt dich stramm!… Wir werden ‘s den
Spöttern noch heimzahlen…“
Urfin verstand, daß die Eule schwatzte, daß sie ihn nur aufmuntern wollte,
doch er war ihr auch dafür dankbar. Die Schande bedrückte so sehr sein
Herz, daß es zu zerspringen drohte. Er erinnerte sich, wie er erst vor
wenigen Monaten auf dem Rücken des Riesenadlers vor den Springern
erschienen war, welchen Eindruck sein feuerrotes Gewand und die
brennende Fackel in der erhobenen Hand auf sie gemacht und wie diese
Toren ihn als Gott anerkannt und ihr Schicksal in seine Hände gelegt
hatten. Was hatte er für sie getan? Er hatte die Reichen noch reicher und die
Armen noch ärmer gemacht, hatte Gier nach fremdem Eigentum in ihre
Herzen gepflanzt und sie in den Krieg gegen ihre Nachbarn getrieben. Jetzt
rächte sich das alles an ihm…
Wohin sollte er sich nun wenden? Es gab niemanden im ganzen
Zauberland, den Urfin einen Freund hätte nennen können, es gab keinen
Zufluchtsort für ihn. Sein bescheidenes Häuschen beim kleinen Dorf
Kogida hatte er verbrannt, als er auf Karfax’ Rücken zu den Marranen
aufbrach. Jetzt ging er mit leeren Händen und leeren Taschen einem
ungewissen Schicksal entgegen. Alles, was er besessen hatte, war im Troß
der Marranenarmee geblieben: Bettzeug, warme Kleidung, Waffen,
Werkzeug…
Sollte er zurückkehren und um Nachsicht bitten? Natürlich würden die
großmütigen Marranen ihm seine Habseligkeiten zurückgeben, doch würde
er ihren Spott oder, was noch schlimmer war, ihr Mitleid ertragen
können?…
Nein, das war ausgeschlossen! Urfin biß die Zähne zusammen und
beschleunigte seinen Schritt. Nur fort, fort von hier’, hämmerte es in seinem
Kopf.
„Noch ist niemand im Zauberland Hungers gestorben!“ dachte Urfin. “Auf
den Bäumen gibt es Obst genug, und Laub für eine Hütte, in der sich
übernachten läßt, kann ich mit den Händen sammeln…“
Als er sich etwas beruhigt hatte, fiel ihm ein, daß im Hof seines
abgebrannten Hauses ein Keller war, in dem er sein Tischlerwerkzeug
aufbewahrt hatte: Äxte und Sägen, Hobel, Meißel und Bohrer. Es war
anzunehmen, daß der Brand den Keller verschont hatte, und folglich mußte
das Werkzeug noch daliegen. Daß die ehrlichen Käuer nichts angerührt
hatten, stand außer Zweifel.
,,Ich war zweimal in meinem Leben Tischler und zweimal König
gewesen“, dachte Urfin mit einem schiefen Lächeln, „dann werde ich eben
wieder Tischler, zum dritten und letzten Mal…“
Er teilte seinen Entschluß der Eule mit, seiner einzigen Ratgeberin, und
diese hieß ihn gut.
„Bleibt uns wohl nichts anderes übrig, Gebieter“, sagte die Eule. „Gehen
wir zurück in dein Anwesen. Wir werden dort ein neues Haus bauen und
darin leben, bis uns wieder was einfällt.“
„Ach, Guamoko, Guamoko“, seufzte Urfin, „spar dir die Mühe und
versuche nicht, mich mit leeren Hoffnungen zu trösten. Ich bin nicht mehr
jung und habe auch nicht mehr die Kraft, zehn Jahre auf ein Wunder zu
warten. Bitte nenn mich auch nicht mehr Gebieter, was bin ich jetzt für ein
Gebieter und worüber gebiete ich denn noch?Nenn mich einfach Herr!“
„Zu Befehl, Herr!“ erwiderte Guamoko gehorsam.
Der Weg in das Blaue Land war für Urfin Juice sehr beschwerlich. Um
nachts im Walde nicht zu frieren, kroch er unter die Decke der abgefallenen
welken Blätter, oder er baute sich eine dürftige Laubhütte. Ein Feuer
konnte er nicht anzünden, weil sein Feuerzeug mit den anderen
Habseligkeiten im Troß bei den Marranen geblieben war. Er ernährte sich
von Obst und Weizenähren, die er auf den Feldern pflückte. Die Eule
brachte ihm mehrmals Rebhüner, die sie gejagt hatte, doch Urfin konnte sie
nicht roh essen und gab sie ihr seufzend zurück. Er war sehr abgemagert,
seine Wangen waren eingesunken, und die große Nase sprang turmgleich
über den eingefallenen Mund hervor. Ein Stoppelbart bedeckte sein
Gesicht, den er nicht entfernen konnte, weil er kein Rasierzeug hatte.
Die Erinnerung bohrte in seinem Kopf und gab ihm keine Ruhe. War er
glücklich gewesen, als er das Zauberland regierte?
,,Nein, ich war nicht glücklich“, mußte sich Urfin gestehen. “Ich hatte die
Macht mit Gewalt erobert, den Menschen die Freiheit geraubt, und sie
haßten mich. Selbst die Höflinge, denen ich hohe Ämter zuteilte, taten nur
so, als liebten sie mich. Schranzen und Speichellecker sangen mir
Loblieder bei Schmaus und Gelage, nicht weil sie mich
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