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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wie er unauffällig sein Gewicht verlagerte.
Offensichtlich war er noch unschlüssig, was er tun sollte, was angesichts des schwarz-gesichtigen Riesen hinter Andrej auch verständlich war.
Dennoch suchte Andrej vergebens nach einer Spur von Furcht auf
dem Gesicht des Mannes. Vielleicht war er unsicher, welcher der
beiden Männer vor ihm der gefährlichere war. Sollte er sich auf den
äußeren Anschein verlassen und sich auf den vermeintlichen Leibwächter konzentrieren, dann würde er eine tödliche Überraschung
erleben.
»Nun, Yussuf Ibn Sair«, sagte er, »das war doch Euer Name, nicht
wahr?«
Andrej nickte und der Muselman setzte neu an: »Ich habe vorhin
einen meiner Männer zum Palast geschickt, der aber ein vollkommener Idiot zu sein scheint. Er kann sich nicht einmal einen einfachen
Namen merken. Stellt Euch vor, er behauptet, ein Mann Eures Namens sei dort gar nicht bekannt.«
Plötzlich begriff Andrej. Der Mann war nicht unschlüssig. Und er
hatte auch keine Angst. Er versuchte lediglich, Zeit zu schinden. Es
war nicht besonders schwer, sich vorzustellen, warum.
»Wie Ihr selbst sagt«, antwortete Andrej gelassen, »der Mann
scheint unfähig zu sein. Ihr solltet ihn auspeitschen lassen.«
»Sicher«, antwortete der Offizier. »Aber stellt Euch vor, im Palast
weiß auch niemand etwas von einer Überprüfung der Ladelisten.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«, fragte Andrej scharf.
»Oh, ich glaube, das wisst Ihr genau«, sagte der Muselman ruhig.
Ebenso ruhig, aber mit einer Bewegung, die große Entschlossenheit
verriet, zog er seinen Krummsäbel, senkte die Spitze der Waffe aber
sofort wieder. »Mir ist nicht daran gelegen, mit Euch oder Eurem
Begleiter zu kämpfen. Bevor Ihr etwas tut, was mich dazu zwingt,
seht Euch um.«
Andrej dachte nicht daran, den Mann auch nur eine Sekunde aus
den Augen zu lassen, aber das war auch nicht nötig. Die Bewegung,
die er aus den Augenwinkeln registrierte, war eindeutig. Sowohl von
rechts als auch von links eilten Männer auf sie zu. Er hatte den Offizier unterschätzt, musste er sich eingestehen. Offensichtlich hatte
dieser seine Männer schon unauffällig auf dem Platz verteilt, noch
bevor sie das Arsenal verlassen hatten.
»Ihr wisst, dass Ihr Euch gerade um Euren Hals redet?«
Die Frage war völlig sinnlos - nichts als der verzweifelte Versuch,
das Unausweichliche noch ein paar Augenblicke hinauszuzögern.
»Das mag sein, Herr«, antwortete der Offizier. »Trotzdem bitte ich
Euch, mir ohne Widerstand zu folgen. Sollten sich Eure Angaben als
richtig erweisen, werde ich den Mann, der mich falsch informiert hat,
töten lassen und mich in aller Form bei Euch entschuldigen.«
Und wenn nicht, dann wartet der Foltermeister des Sultans auf uns,
dachte Andrej bitter. Dennoch zog er die Hand unauffällig vom
Schwert zurück. Er hätte den Mann so schnell töten können, dass er
nicht einmal begriffen hätte, was geschah. Aber sie hatten es mit
mindestens einem Dutzend Gegnern zu tun - ganz davon abgesehen,
dass der Vorplatz von Menschen nur so wimmelte. Wenn auch nur
ein einziger der muselmanischen Krieger das Wort ›Spion‹ aussprach, würde die Menge Abu Dun und ihn in Stücke reißen. Vielleicht standen ihre Chancen besser, wenn sie sich gefangen nehmen
ließen und später einen Fluchtversuch unternahmen. Die Gefängnisse
des Serails waren berüchtigt, aber sowohl Andrej als auch sein vermeintlicher Leibwächter hatten für ihre Bewacher die eine oder andere Überraschung auf Lager.
Es war Abu Dun, der die Katastrophe auslöste.
Er zog seine Waffe, aber der Offizier reagierte schneller, als Andrej
erwartet hatte, und stieß seine Klinge in Abu Duns Richtung.
Allerdings war er nicht schneller als Andrej.
Dessen Hand bewegte sich rascher, als das menschliche Auge
wahrnehmen konnte. Er verschwendete keine Zeit damit, seine eigene Klinge zu ziehen, sondern trat nach dem Krummsäbel des Offiziers und schmetterte ihn nur einen Augenblick, bevor sich dessen
Spitze in Abu Duns Körper bohren konnte, zur Seite. Gleich darauf
vollführte er eine halbe Körperdrehung, und sein linker Fuß traf den
Muselmanen mit der Wucht eines Hammerschlages unter dem Kinn.
Der Offizier stolperte mit einem schmerzerfüllten Grunzen zurück,
ließ seinen Säbel fallen und brach in einer langsamen Bewegung in
die Knie. Andrej führte die begonnene Drehung zu Ende und riss
Abu Dun dabei mit sich.
Schlagartig brach rings um sie herum die Hölle los. Alarmrufe gellten
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