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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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wie sein Körper bereits
damit begann, das verwundete Bein zu heilen. Unter normalen Umständen wäre die Wunde binnen einiger Minuten verheilt gewesen,
aber er konnte seinem Körper die Energie, die er für die Regeneration brauchte, nicht geben. Nicht jetzt.
Umständlich richtete er sich auf, ignorierte Abu Dun, der besorgt an
ihm herumtastete, und versuchte, sich in der Dunkelheit zu orientieren. Selbst seinen Augen, die, ebenso wie die des Nubiers, ungleich
schärfer waren als die eines gewöhnlichen Menschen, fiel es schwer,
die nahezu vollkommene Finsternis zu durchdringen. Immerhin war
das ein winziger Vorteil für sie. Ihre Verfolger würden dort unten
buchstäblich blind sein. Aber sie waren nicht mehr weit. Über ihnen
waren die Stimmen und Schritte der Männer lauter geworden. Sie
waren ihnen auf der Spur.
Die Treppe endete vor einer nur knapp anderthalb Meter hohen, uralten Tür, die schräg in rostigen Angeln hing. Das Schloss schien
schon vor einem halben Menschenalter herausgefallen zu sein, doch
jemand hatte es für nötig gehalten, die Tür mit einer schweren Eisenkette zu versehen, die mit einem großen Vorhängeschloss gesichert
war. Was immer sich dahinter befand, schien von enormem Wert zu
sein.
Oder ausgesprochen gefährlich.
Andrej jedenfalls hatte vor, es herauszufinden. Er schob Abu Dun
mit dem linken Arm aus dem Weg und wieder zwei Stufen weit die
Treppe hinauf und ließ seine Waffe mit aller Gewalt auf die Kette
herabsausen.
Das rostige Eisen zerbarst wie Glas. Auch Andrejs Schwert brach
dicht über dem Griff ab, aber die Kette rasselte wie eine Ankerkette
zu Boden - mit einem Lärm, der noch auf der anderen Seite der Stadt
zu hören sein musste, dachte Andrej erschrocken. Die Tür sprang
auf, als sich Andrej mit der Schulter dagegen warf.
Um ein Haar wäre dies seine letzte Bewegung gewesen.
Die Treppe setzte sich unmittelbar hinter der Tür fort. Die oberste
Stufe war nicht mehr vorhanden und der Rest der Treppe führte in
deutlich steilerem Winkel als zuvor weiter nach unten. Sie schien in
einem gewölbten, niedrigen Gang zu enden, aus dem graues Zwielicht heraufsickerte. Was er sah, waren die kläglichen Überreste von
Tageslicht, das irgendwo in weiter Entfernung seinen Weg unter die
Erde gefunden hatte. Dort unten musste es einen Ausgang geben.
Er dirigierte Abu Dun mit sanfter Gewalt durch die Tür und war
kurz versucht, die Kette von innen wieder vorzulegen, verwarf diesen
Gedanken aber gleich wieder. Die Spur, die sie hinterlassen hatten,
war nicht zu übersehen, und wie stabil die Kette war, hatte er gerade
selbst feststellen können. Ihre Verfolger würden weniger Zeit brauchen, um die Tür aufzubrechen, als er, um sie zu verriegeln. Andrej
zog sie zu, so gut er konnte, und stürmte dann dicht hinter Abu Dun
die ausgetretenen Steinstufen hinab.
Die Treppe war lang. Der Gang, den sie schließlich erreichten,
musste sich tief unter den Kellergewölben der Häuser befinden, womöglich unter den Fundamenten der Stadt selbst. Er war so niedrig,
dass selbst Andrej, der im Gegensatz zu Abu Dun kein Riese war,
nur gebückt gehen konnte. Der Boden klebte vor Schmutz. Die Luft
roch modrig und war von alles durchdringender Feuchtigkeit getränkt. Hinter ihnen wurden wieder Stimmen laut. Waren ihre Verfolger schon auf der Treppe?
Andrej beschleunigte seine Schritte und stieß Abu Dun, dessen Zögerlichkeit er nicht verstand, schließlich einfach vor sich her, bis sie
das Ende des Gangs erreicht hatten und der Nubier so abrupt stehen
blieb, dass Andrej auf ihn prallte. Abu Dun gelang es zwar, das
Gleichgewicht nicht zu verlieren, aber er stolperte ungeschickt einen
Schritt zur Seite. Auch Andrej prallte zurück und stieß mit dem Rücken gegen die Wand neben der Tür. Er registrierte es kaum.
Der Anblick, der sich ihm bot, verschlug ihm die Sprache.
Das Licht, das sie heruntergelockt hatte, sickerte durch Dutzende
schmaler Schlitze, die sich hoch unter der Decke eines gewaltigen
Kuppelsaals befanden, dessen Abmessungen sie nur ahnen konnten.
Getragen wurde diese Decke von mehr als mannsdicken steinernen
Säulen, die sich in mehreren Reihen nebeneinander erhoben. Es
mussten Hunderte sein.
»Das… ist unglaublich«, murmelte Abu Dun. »Von so etwas habe
ich noch nie gehört.«
Die Akustik dieses sonderbaren Raums verzerrte seine Stimme zu
einem gespenstischen Flüstern, aber Andrej konnte das Zittern dann
nur zu gut hören. Auch er hatte etwas
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