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Der Gejagte

Der Gejagte

Titel: Der Gejagte
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Derartiges noch niemals zuvor
zu Gesicht bekommen. Der Raum erfüllte ihn mit dem Gefühl, klein
und bedeutungslos zu sein. Gewiss hatte er schon in größeren Räumen gestanden, aber noch niemals in einem unterirdischen Raum, der
die Abmessungen einer kleinen Burg hatte.
Dann hörte er das Plätschern von Wasser. Plötzlich wusste er, wo
sie waren.
»Die Zisternen«, sagte er. »Das müssen die Zisternen sein.«
»Zisternen?«, wiederholte Abu Dun in zweifelndem Ton.
Andrej stieß sich von der Wand ab und trat ganz dicht an den Rand
des schmalen Simses heran, der die gewaltige Wasserfläche begrenzte, die er nun erkennen konnte. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an das blasse, graue Licht, das wie leuchtender Staub in keilförmigen Streifen durch die wattige Dunkelheit vor ihnen schnitt. Wenn
man längere Zeit auf das Muster aus Hell und Dunkel blickte, wurde
einem schwindlig - es war ein perfektes Versteck. Selbst Andrej hatte
Mühe, dort unten etwas zu erkennen. Für ihre Verfolger - selbst
wenn sie Fackeln oder Lampen mitgebracht haben sollten - musste es
nahezu unmöglich sein.
Aufmerksam ließ er seinen Blick nach rechts und links schweifen
und entdeckte nach kurzem Suchen genau das, worauf er gehofft
hatte: Nicht weit von ihrem Standort entfernt führten drei schmale
gemauerte Stufen zur Wasseroberfläche hinab. Ein schmales, mittels
einer rostigen Kette an einem eisernen Ring an der Wand befestigtes
Boot lag da. Um ihr Glück perfekt zu machen, lagen im Heck des
Bootes zwei lange Stangen, mit denen man es von der Stelle staken
konnte.
»Dorthin!«
Ohne Abu Duns fragende Blicke zu beachten, stürmte er los, stieg
in das Boot und balancierte mit weit ausgestreckten Armen zum
Heck, um sich nach einer der Stangen zu bücken. Der Nachen
schwankte bedrohlich, als auch Abu Dun hineinstieg. Sein gewaltiges Körpergewicht war fast zu viel für den altersschwachen Kahn.
Das leise Klirren von Metall verriet Andrej, dass es Abu Dun gelungen war, die Kette zu lösen. Er ergriff eine der Stangen und ließ sie
ins Wasser hinab. Als das Ende der Stange endlich den Grund berührte, musste sich Andrej vorbeugen, um sie überhaupt noch halten
zu können. Das Wasser musste an die vier Meter tief sein.
»Sie kommen«, sagte Abu Dun überflüssigerweise. Mit einem Satz,
der das Boot abermals bedrohlich ins Schwanken brachte, war er
neben Andrej, ergriff die zweite Stange und rammte sie mit solcher
Kraft nach unten, dass das Wasser hoch aufspritzte.
Abu Dun hatte Recht. Ihre Verfolger schienen bereits unmittelbar
hinter ihnen zu sein - oder war es nur die verwirrende Akustik des
unterirdischen Gewölbes?
Mit aller Kraft stemmten sich Andrej und Abu Dun gegen die Stangen. Das kleine Boot zitterte wie ein störrischer Esel und rührte sich
nicht von der Stelle, als würde es von einer unsichtbaren Kraft gehalten. Dann aber kam es mit einem solchen Ruck frei, dass Andrej beinahe kopfüber ins Wasser gefallen wäre. Während er sich vorsichtig
wieder aufrichtete, begann sich das Boot schwerfällig auf der Stelle
zu drehen, bis der Bug genau auf den Gang, durch den sie heruntergekommen waren, deutete. Andrej stellte mit vorsichtiger Erleichterung fest, dass von den sie verfolgenden Türken noch nichts zu sehen
war. Aber ihre stampfenden Schritte waren nahe, zu nahe.
»Wieso Zisterne?«, fragte Abu Dun. »So eine große Zisterne gibt es
nicht.« Er keuchte vor Anstrengung, aber seine Neugier - oder sein
Unglaube - waren mindestens so groß wie seine Angst. Andrej konnte diese Reaktion durchaus verstehen. Auch ihm verschlug die Größe
dieses unterirdischen Saals schier den Atem.
»Hier schon«, antwortete er. »Ich habe davon gehört, es aber, ehrlich gesagt, selbst nicht geglaubt.« Er schüttelte den Kopf und
stemmte sich dann ebenfalls gegen den Staken. »Jedenfalls nicht,
dass sie so groß sind.«
»Sie?«, wiederholte Abu Dun zweifelnd.
»Es sind mehrere«, bestätigte Andrej. Er sparte es sich, Abu Dun
darüber aufzuklären, dass mehrere in diesem Fall vierzig bedeutete.
Er machte eine Kopfbewegung in das Dunkel zwischen den Säulen
hinein. »Angeblich sind sie durch unterirdische Kanäle miteinander
verbunden. Wenn wir einen davon finden, sind wir gerettet. Vollkommen unmöglich, dass sie uns dort aufspüren!«
Als hätte ein boshaftes Schicksal nur auf dieses Stichwort gewartet,
stürmten in diesem Moment die ersten Verfolger in das Gewölbe.
Andrej machte einen erschrockenen Satz, als
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