Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Geisterfahrer

Der Geisterfahrer

Titel: Der Geisterfahrer
Autoren: Franz Hohler
Vom Netzwerk:
möglich, dieser Fuß war ein Huf, und der Huf war in der Mitte gespalten. Ich schaute im Lexikon nach und fand, dass das bei den sogenannten Paarhufern der Fall ist – mein Haustier musste demnach zur Familie der Kamele, Hirsche oder Giraffen gehören. Das einzige, was ich mir denken konnte, war, dass es vielleicht eine ganz kleine Zwergziege sein könnte, aber dann war mir die Hand nicht verständlich, die ich doch genau gesehen hatte. Im Lexikon stand weiter: mehrere ausgestorbene Gruppen. Vielleicht, dachte ich, vielleicht habe ich da zufällig ein Tier, das eigentlich ausgestorben ist. Der Gedanke freute mich, und ich hatte jetzt auch eine Erklärung für die Tatsache, dass das Tier ohne Essen leben konnte, das Lexikon gab nämlich an, dass Paarhufer Wiederkäuer sind. Offenbar handelte es sich also um eine ausgestorbene Art eines Paarhufers mit einer unheimlich langen Wiederkäuerzeit.
    Diese Vermutungen waren alle falsch. Welcher Art mein Haustier war, erfuhr ich, als ich an einem Sonntagmorgen meinen Radio laufen ließ. Eine festtäglich wirkende Musik für Streicher war soeben zu Ende gegangen, und der Sprecher kündigte die Übertragung eines katholischen
Festgottesdienstes an. Bei dieser Ansage kam ein krächzender Schrei aus dem Käfig, ich drehte mich um, da sah ich, dass das Haustier aufgesprungen war und sich mit beiden Händen an das Gitter klammerte, und jetzt erkannte ich, dass es ein Teufel war.
    Sofort stellte ich den Apparat ab und sprach dem Tier beruhigend zu. Ich bemerkte, dass jedes einzelne Haar steif aufgerichtet war und dass es am ganzen Körper zitterte. Seine Augen starrten verängstigt in die Richtung, aus der die Töne gekommen waren, und es schien mir sogar, als enthielte sein Blick nicht nur Furcht, sondern auch Hass. Gleichzeitig stellte ich fest, dass das Tier auf der Stirne zwei kleine Hörner hatte, dass es also ein richtiger Teufel war.
    Im Verlaufe des Tages, während sich das Tier langsam wieder beruhigte und, den Kopf an die Veilchenwurzel geneigt, zum Käfig hinausschaute, überlegte ich mir, was ich tun sollte. Es kam mir nichts in den Sinn, keine Maßnahmen, und ich wollte auch nichts tun, ich hatte nichts dagegen, einen Teufel als Haustier zu haben, und ich nahm mir vor, genau so weiter zu leben wie bisher.
     
    Die Veränderungen stellten sich erst allmählich ein. Als erstes fiel mir auf, dass der Teufel, wenn er nicht zusammengerollt dalag, keine Stellung finden konnte, in der es ihm behaglich war, seine Figur schien eher zum Aufrechtgehen gemacht, und es wirkte unnatürlich, wenn er sich wie ein Hund hinlegte, andererseits gelang es ihm auch nicht, richtig zu sitzen und die Hände um die Knie zu schlingen. Ich baute ihm einen kleinen Stuhl, auf den er
sich nun häufig in einer Art Damenhaltung setzte, beide Beine auf derselben Seite.
    Trotzdem schien er noch nicht ganz zufrieden, und so kam ich auf die Idee, ihm eine Hängematte zu machen, die ich zwischen den Stäben befestigte. Davon war er begeistert, oft lag er den ganzen Tag darin und schaukelte sich hin und her, bald kam er auch darauf, dass er mit dem Schwanz bis in den Futternapf reichte, so tauchte er, wenn er Durst hatte, die Quaste ins Wasser, schwang sie dann zu sich hinauf und schleckte sie ab.
    Bisher hatte er außer dem Wasser nichts zu sich genommen, aber nun fing er an, mir auf eine Art beim Essen zuzuschauen, die mir unangenehm war. Er sprang von seiner Hängematte, stellte sich aufrecht ans Gitter und hielt sich mit seinen Händen daran – so schaute er unablässig auf meinen Teller. Ich spürte seine Blicke in meinem Rücken und versuchte zuerst, da ich mich belästigt fühlte, so zu essen, dass ich ihm zugewandt war, aber nun war mir sein Blick noch unerträglicher. Dann iss halt auch, sagte ich zu ihm und hielt ihm eine Nudel hin. Er drehte nur kurz den Kopf weg und schaute dann wieder zu mir. Da schnitt ich ihm ein Stück meines Koteletts ab und bot es ihm an. Sofort packte er es und schob es in seinen Mund. Er kaute es sehr schnell und schluckte es dann hinunter. Ich gab ihm noch ein Stück, mit dem er auf dieselbe Weise verfuhr. Zuletzt legte ich ihm durch das Türchen den übrig gebliebenen Knochen hinein, den er zu meiner Überraschung nicht abnagte, sondern in kurzer Zeit ganz auffraß. Als er sah, dass auch ich fertig gegessen hatte, legte er sich wieder in seine Hängematte und schaukelte sich hin und her.

    Jetzt, da ich wusste, dass der Teufel auch aß, versuchte ich, ihm alle
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher