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Der Geheimnisvolle Eremit

Der Geheimnisvolle Eremit

Titel: Der Geheimnisvolle Eremit
Autoren: Ellis Peters
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ebenso entrüstet würde er reagieren, wenn er hörte, daß andere für ein Kind das ebenso ernste und bindende Eheversprechen abgegeben hatten.
    »Nun, das alles soll dich nicht weiter kümmern«, sagte Paul fest. »Deine einzige Sorge heute und in den nächsten Jahren muß es sein, eifrig zu lernen und den Beschäftigungen nachzugehen, die sich für dein Alter ziemen. Du kannst jetzt zu deinen Gefährten zurückkehren, wenn du willst; du kannst aber auch eine Weile allein hierbleiben.«
    Richard glitt sofort aus dem tröstenden Arm und baute sich stämmig vor der Bank auf, bereit, sich der Welt und seinen neugierigen Schulkameraden zu stellen; er sah keinen Grund, die Begegnung auch nur einen Augenblick hinauszuzögern. Er mußte das, was ihm nun geschehen war, erst noch begreifen.
    Die Tatsachen verstand er, doch sie hatten noch nicht sein Herz erreicht.
    »Wenn du noch eine Bitte hast«, sagte Bruder Paul, der ihn besorgt beobachtete, »oder wenn du Trost oder Rat brauchst, dann komm nur zu mir, und dann gehen wir zusammen zum Vater Abt. Er ist klüger als ich und kann dir durch diese schwere Zeit helfen.«
    Das mochte zwar sein, aber ein Schuljunge setzte sich kaum freiwillig einer Begegnung mit einer so ehrfurchtgebietenden Persönlichkeit aus. Richards ernstes Gesicht sah jetzt aus wie das brütende Antlitz eines Menschen, der sich einen Weg durch unvertraute, dornige Wege bahnt. Er verbeugte sich zum Abschied und ging rasch hinaus, und Bruder Paul, der ihm aus dem Fenster nachsah und keine akute Verzweiflung bemerkte, ging zum Abt, um ihm zu berichten, was die Dame Dionisia Ludel angeblich für ihren Enkelsohn geplant hatte.
    Radulfus hörte ihn aufmerksam und mit nachdenklichem Stirnrunzeln an. Eaton mit den beiden Nachbargütern zu vereinen, war ein sehr verständliches Bestreben. Der sich daraus ergebende Besitz wäre in der Grafschaft eine Macht, und die tatkräftige Dame hielt sich zweifellos für befähigt, das Gut über die Köpfe von Braut, Brautvater und kindlichem Bräutigam hinweg mit eigener Hand zu regieren. Die Gier nach Land war ein starker Antrieb, und Kinder waren gegenüber einem so begehrenswerten Ziel ein leicht verzichtbarer Besitz.
    »Aber wir machen uns unnötige Sorgen«, meinte Radulfus und tat die Angelegenheiten mit einem Achselzucken ab. »Der Junge untersteht meiner Obhut, und er bleibt hier. Was immer sie beabsichtigen mag, sie wird ihn nicht anrühren können. Wir können die Sache getrost vergessen. Sie ist keine Bedrohung für Richard oder für uns.«
    So weise er sonst war, dies war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen Abt Radulfus feststellen mußte, daß seine Voraussagen weit an der Wahrheit vorbeigingen.

2. Kapitel
    Sie waren am Morgen des 20. Oktober alle im Kapitel versammelt, als der Verwalter des Gutes von Eaton sich vorstellte und um Gehör für eine Botschaft von seiner Herrin bat.
    John von Longwood war ein stämmiger, bärtiger, fünfzigjähriger Mann mit schütterem Haar und zielstrebigen, abgezirkelten Bewegungen. Er erwies dem Abt höflich die Ehre und brachte seinen Auftrag unumwunden und direkt zur Sprache wie ein Mensch, der seine Pflicht erfüllt, ohne sich jedoch zu Äußerungen von Billigung oder Mißbilligung hinreißen zu lassen.
    »Mein Herr, die Frau Dionisia Ludel schickt mich mit ihren ergebensten Grüßen und bittet Euch, ihren Enkelsohn Richard mit mir zurückzuschicken, auf daß er als rechtmäßiger Herr von Eaton an die Stelle seines Vaters trete.«
    Abt Radulfus lehnte sich im Gestühl zurück und betrachtete den Boten mit unbewegtem Gesicht. »Gewiß soll Richard der Beerdigung seines Vaters beiwohnen. Wann soll sie stattfinden?«
    »Morgen, mein Herr, vor dem Hochamt. Aber das ist nicht, was meine Herrin meint. Der junge Herr soll seine Studien hier aufgeben und seinen Platz als Herr über Eaton einnehmen. Ich soll ausrichten, daß die Dame Dionisia sich für geeignet hält, ihn zu beaufsichtigen, da er nun sein Erbe antreten wird; und genau dafür will sie ohne Verzögerung und Behinderung Sorge tragen. Ich habe Anweisung, ihn mit mir zurückzubringen.«
    »Ich fürchte, Herr Verwalter«, erwiderte der Abt nachdenklich, »daß Ihr Euren Befehl nicht werdet ausführen können. Richard Ludel übertrug mir die Vormundschaft über seinen Sohn für den Fall, daß er selbst sterben sollte, bevor der Junge das Mannesalter erreichte. Es war sein Wunsch, daß der Junge ordentlich erzogen werde, damit er den Besitz, den er erbt, gut verwalten
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