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Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)

Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)

Titel: Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)
Autoren: Michael Innes
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nahm einen gefangen. Und vielleicht konnte er selbstsicher sein, weil das Unglaubliche, das er beschrieb, zu seiner Zeit ja noch gar nicht ganz vergangen war – weil Schiffbruch und Schmuggler, sagenumwobene Familien und geheimnisvolle Fremde tatsächlich zu einem Schottland gehört hatten, das eben erst Geschichte wurde. Vielleicht …
    Der Wortkarge hatte seinen Scotsman sinken lassen. Eine einfache Geste, aber sie ließ deutlich spüren, daß etwas Entscheidendes bevorstand. Der blonde junge Mann hatte es ebenfalls bemerkt; Sheila sah, daß er nicht mehr in seiner Zeitschrift las. Der Redselige würde vernichtet werden; der Wortkarge, der so lange hinter seiner Zeitung passiven Widerstand geleistet hatte, würde eine Salve feuern, nur eine einzige, doch mit weit überlegenen Waffen. So würde es kommen, und es war merkwürdig, mit welcher Bestimmtheit sie es wußte. Sheila schlug das Buch zu – mit einem Knall ließ sie den Abenteuerroman hinter sich und wandte sich der Gesellschaftskomödie zu. Sie betrachtete noch einmal beide Männer.
    Sie würde den Wortkargen Pennyfeather nennen; es war der einzige Name, der angemessen war. Ein Geschäftsmann, aber einer von denen, die sich um Finanzen, nicht um Waren kümmern. Geld war sein Geschäft, davon hatte er die schmalen Lippen, das angespannte Kinn. Er hatte einen recht hohen Rang auf der Karriereleiter erklommen – aber höher käme er nicht mehr. Denn tief in seinem Inneren gab es eine Unsicherheit, die sich in einem gejagten Blick äußerte. Etwas war vorgefallen zu Kinderzeiten, dieses Etwas hatte Einfluß auf seine Jugend genommen – und irgendwie hatte es Pennyfeather seither verfolgt. Und gerade deswegen hatte er einen so eindeutig »kultivierten« Menschen aus sich gemacht; die innere Unsicherheit, die ihn quälte, hatte er mit ein klein wenig Kunst kompensiert. Und das war auch die Erklärung dafür, warum er sich so unnahbar gab. Hinter Pennyfeathers Strenge, der rasch gerunzelten Stirn, steckte ein Mensch, der sich leicht einschüchtern ließ.
    Für diese modische Analyse hatte Sheila ein paar Augenblikke gebraucht. Sie hatte gerade noch Zeit, den Redseligen Burge zu taufen – das paßte nicht ganz, aber es reichte –, als Pennyfeather das Wort ergriff.
    »Ich lese nur selten Gedichte«, sagte Pennyfeather. »Aber wenn ich sie lese, dann lese ich gute Gedichte.«
    Ohne Umschweife mitten ins Herz, dachte Sheila. Aber als sie hinüber ans andere Abteilende blickte, sah sie, daß Pennyfeather ein wenig zitterte. Die Unsicherheit machte sich bemerkbar. Burge hingegen hatte glasige Augen bekommen, was genau ins Bild paßte. Der Blick eines dummen und starrköpfigen Mannes, der sich in einem Lokal mit den anderen Gästen anlegt.
    »Haben Sie je von Swinburne gehört?« fragte Pennyfeather.
    Das war ein vernichtender Schlag – als hätte er dem Streithahn im Pub geantwortet, daß er in seinen Ansichten ja noch hinter Aristoteles zurückfalle. Burge gab einen unartikulierten Laut von sich, der wohl besagen sollte, daß ein Mann wie er sich nie im Leben mit Swinburne abgäbe.
    »Dann hören Sie zu.« Pennyfeather lehnte sich zurück, schloß die Augen und rezitierte:
    Auf zerklüfteter Klippe zwischen Tiefland und Hochland,
    An gischtweißer Küste zwischen luvwärts und Lee,
    Von Felsen umringt, eine Insel im Festland,
    Gespenst eines Gartens hoch über der See …
    Pennyfeather hielt inne, schlug die Augen auf und betrachtete Burge mit tiefstem Mißfallen. »Das«, sagte er, » das ist Dichtung.« Und zitierte die Zeilen noch ein zweites Mal.
    Es war absurd. Burge, der schließlich das Gespräch auf die Dichtkunst gebracht hatte, blickte nun nicht nur mürrisch, sondern zudem verlegen drein. Er war wie ein Mann, der eine etwas schlüpfrige Unterhaltung begonnen hat und nun eine Geschichte erzählt bekommt, die er nicht hören will. Sheila war noch dabei, diesen Vergleich, der eher außerhalb ihrer eigenen Lebenserfahrung lag, zu bewundern, als Pennyfeather von neuem ausholte.
    Ein Gürtel aus Sträuchern und Dornen umfriedet
    Das steile Geviert eines blattlosen Beets …
    Er hatte offenbar ernsthaft vor, das gesamte Gedicht vorzutragen. Ein schönes Gedicht, ein entspanntes Gedicht. Es war seltsam, dachte Sheila und unternahm einen kurzen Ausflug in die Literaturkritik, daß Verse, die seinerzeit so sehr die Gemüter erregt hatten, heute eher harmlos wirkten. Angenehm einschläfernd geradezu – gar nicht soviel anders als jener kultivierte Satz über
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