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Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)

Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)

Titel: Der geheime Vortrupp – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Inspektor-Appleby-Serie (German Edition)
Autoren: Michael Innes
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Mann. Er sagte es mit einer Endgültigkeit, die selbst den redseligen Mann, der ihm gegenübersaß, zunächst entmutigte.
    Sheila erinnerte sich, daß ihre Mutter felsenfest überzeugt gewesen war, der Zug halte auf der Brücke, damit die Fahrgäste die Aussicht genießen könnten. Sie glaubte so fest daran, daß sie sich um etwas, das sie doch mit ihrer Fahrkarte erworben hatte, betrogen fühlte, wenn er einmal nicht hielt. Und selbst als ihr Mann ihr – im Hawes Inn, wo sie am Fenster saßen und Tee tranken – gezeigt hatte, daß auch Güterzüge oft auf der Brücke hielten … als er ihre Mutter, die Güterzüge immer Gepäckzüge nannte, darauf aufmerksam gemacht hatte … Sheila lehnte sich wieder zurück, ganz in Gedanken versunken.
    »Faszinierende Sachen manchmal«, nahm der redselige Mann die Attacke wieder auf. »Mir fällt etwas ein, was wir in der Schule lernen mußten. Unser Flaggschiff war die Lion  …«
    Der wortkarge Mann runzelte die Stirn. Und der vierte Reisende im Abteil, ein unauffälliger junger Mann mit hellblonden Haaren, blickte neugierig von seiner Zeitschrift auf. Aber nach wie vor hörte Sheila kaum zu. Sie mußte daran denken, wie enttäuscht sie bei ihrer ersten Fahrt über die Brücke gewesen war. Das war natürlich wegen der Marine Gardens gewesen … in Portobello waren sie; ob es sie wohl noch gab? In den Marine Gardens hatte es eine riesige Achterbahn gegeben, in der es unter lautem Lachen und Kreischen der aufgeregten Passagiere in rasender Fahrt auf und ab gegangen war. Und sie hatte sich ausgemalt, daß der Zug oben über die großen Ausleger fahren würde, daß die Wagen hinauf zum Gipfel und dann wieder in die Tiefe führen. Als der große Augenblick kam und der Zug einfach nur gemächlich weiter geradeaus fuhr, statt das Gewirr von dunkelroten Gitterstäben zu erklimmen, war ihre Enttäuschung, ja ihre Empörung ungeheuer.
    Der Redselige war zum Generalangriff übergegangen. »Unser Flaggschiff«, wiederholte er mit lauter, schnarrender Stimme, »war die Lion , war ein wahrhaft stolzes Schiff, und sie brüllte wie ein Löwe, bis der Feind die Flucht ergriff …«
    Mit einem Ruck setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Die Fahrt über die Brücke war mit einigem Lärm verbunden. Trotzig hob der Mann seine Stimme. »Und wenn die feigen Hunde dermaleinst uns neu bedroh’n …«
    Der Wortkarge stieß einen unverhohlenen Laut der Verachtung aus.
    »Treiben wir sie in die Nordsee und wir jagen sie davon.« Er brüllte das jagen regelrecht, als lege er alle rasch zunehmende Wut hinein, die er über den zurückhaltenden Mann am anderen Ende der Sitzreihe empfand.
    Sheila hatte nicht bemerkt, wie es begonnen hatte. Aber der Herausforderer – ein bulliger, rotgesichtiger Mann, dessen ganze Art etwas diffus Beunruhigendes hatte – der Herausforderer hatte mit Sicherheit schon vor dem Aufbruch aus dem Schottischen Bahnhof auf seinen Nachbarn eingeredet. Er war sichtlich einer von jenen, die Zurückhaltung oder Reserviertheit bei einer Zufallsbekanntschaft in Rage bringt. Und man mußte sagen, daß der wortkarge Mann in einem Maße zurückhaltend war, das man schon stur nennen konnte; er hatte vorwurfsvoll mit seinem Scotsman geraschelt, als der andere ihn ansprach, und auf der ganzen Fahrt kaum ein halbes Dutzend Worte gesprochen. Wie sie auf die Dichtkunst gekommen waren – oder was der Angreifer für Dichtkunst hielt –, wußte Sheila nicht. Jedenfalls war es alles ein wenig absurd.
    North Queensferry. Sheila, die eine Ausgabe des Altertümlers auf den Knien liegen hatte, blätterte zur ersten Seite zurück. Früh eines schönen Sommertags , las sie, erwarb ein junger Mann von vornehmer Erscheinung, der in Geschäften im Nordosten von Schottland zu tun hatte, eine Fahrkarte für die Postkutsche, welche von Edinburgh nach Queensferry verkehrt, wo, wie der Name schon nahelegt und wie jeder meiner Leser, der schon einmal im Norden unseres Landes war, wissen wird, ein Fährboot über den Firth of Forth wartet.
    Ein junger Mann, der vielleicht noch interessant wurde, in einer Lage, aus der noch etwas werden konnte. Was mußte das schön gewesen sein, wenn man Sir Walter Scott war und eine romantische Abenteuergeschichte mit einem so entspannten, so vertrauensvollen, so kultivierten Satz beginnen konnte. Wie schön, daß Leser sich darauf eingelassen hatten. Wie schön, daß man sich auch heute noch als Leser fühlen konnte, der sich darauf einließ. Sir Walters Selbstsicherheit
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