Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten
Autoren: Frances Hodgson Burnett
Vom Netzwerk:
tatsächlich vergessen worden.«
    »Warum bin ich vergessen worden?« fragte Mary und stampfte mit dem Fuß auf. »Warum kommt niemand zu mir?«
    Der junge Mann mit Namen Barney sah sie sehr traurig an.
    »Armes, kleines Lämmchen«, sagte er. »Es ist keiner übriggeblieben. Sie sind alle tot.«
    Auf diese seltsame und jähe Weise erfuhr Mary, daß sie keinen Vater und keine Mutter mehr hatte, daß ihre Eltern gestorben und während der Nacht fortgebracht worden waren, daß die wenigen eingeborenen Diener, die nicht gestorben waren, das Haus in aller Eile verlassen hatten, ohne sich an die kleine Missie Sahib zu erinnern. Es war tatsächlich niemand mehr da, außer Mary und der kleinen raschelnden Schlange.

Trotzige Mary
    Mary hatte ihre Mutter immer gern angeschaut, wenn sie sie aus der Entfernung sah. Sie fand sie sehr hübsch. Aber da sie sie kaum kannte, war nicht zu erwarten, daß sie ihre Mutter lieb gehabt und sie nun, da sie für immer gegangen war, vermißt hätte. Sie fehlte ihr in der Tat überhaupt nicht; und weil Mary immer sich selbst überlassen gewesen war, dachte sie auch jetzt nur an sich selbst, wie sie es immer getan hatte. Wäre sie älter gewesen, sie hätte wohl besorgt darüber nachgedacht, daß sie nun allein in dieser Welt zurückgeblieben war. Sie war aber sehr jung, und da sich immer jemand um sie gekümmert hatte, meinte sie, das müßte auch jetzt noch so sein. Nur hätte sie gern gewußt, ob die Menschen, die sich nun mit ihr beschäftigen müssen, nette Leute sind, die sie höflich behandeln und ihr genau wie ihre Ayah und ihre eingeborenen Diener stets ihren eigenen Willen lassen werden.
    Sie wußte, daß sie nicht in dem Haus des englischen Pfarrers bleiben konnte, in dem sie zunächst einmal aufgenommen worden war. Sie wollte auch nicht dort bleiben. Der Pfarrer war arm und hatte fünf Kinder, alle ungefähr im gleichen Alter wie Mary. Sie waren ärmlich angezogen, zankten sich dauernd und nahmen sich gegenseitig die Spielsachen weg. Mary haßte den unordentlichen Bungalow und war so unausstehlich zu den Kindern, daß schon nach ein oder zwei Tagen niemand mehr mit ihr spielen wollte. Am zweiten Tag gaben sie ihr einen Spitznamen, der sie ganz wütend machte. Basil hatte ihn erfunden. Basil war ein Junge mit frechen blauen Augen und einer Stupsnase. Mary verabscheute ihn. Sie spielte allein unter einem Baum, genauso, wie sie an dem Tag gespielt hatte, als die Cholera ausbrach. Sie häufelte Erde auf, machte kleine Beete und Gartenwege. Basil stand in der Nähe und beobachtete sie. Plötzlich war er mit dabei und machte einen Vorschlag.
    Warum legst du dort nicht ein paar Steine aufeinander und tust, als ob das eine Felsengruppe wäre?« sagte er. »Da in der Mitte vielleicht.«
    Er beugte sich über sie und zeigte auf die Stelle.
    »Mach, daß du wegkommst«, schrie Mary. »Ich mag nicht mit Jungen spielen. Geh weg!« Einen Augenblick sah Basil zornig aus, dann begann er sie zu ärgern. Er zog seine Schwestern auch immer auf. Er tanzte um Mary herum, schnitt Gesichter, tanzte, lachte und sang: »Trotzige Mary, törichte Mary, lange sollst du warten, bis Glockenblumen und roter Mohn blüh'n in deinem Garten.«
    Er sang so lange, bis die anderen Kinder es hörten. Und von diesem Augenblick an nannten sie Mary nur noch trotzige Mary, wenn sie untereinander von ihr sprachen, und oft auch dann, wenn sie mit ihr redeten.
    »Du wirst am Ende der Woche in die Heimat geschickt«, sagte Basil zu ihr. »Und darüber sind wir sehr froh.«
    »Ich bin auch froh«, antwortete Mary. »Wo ist die Heimat?«
    »Sie weiß nicht, was die Heimat ist«, sagte Basil mit dem ganzen Zorn seiner sieben Jahre. »England natürlich. Unsere Großmutter wohnt da, und unsere Schwester Mabel ist im vorigen Jahr zu ihr geschickt worden. Du kannst nicht zu deiner Großmutter. Du hast keine. Du gehst zu deinem Onkel. Er heißt Mr. Archibald Craven.«
    »Ich kenne ihn ja gar nicht«, fauchte Mary.
    »Das weiß ich. Du kennst überhaupt nichts. Mädchen wissen nie etwas. Ich habe Vater und Mutter davon reden hören. Er wohnt in einem vornehmen, großen, einsamen Haus auf dem Land, und keiner mag ihn. Er hat einen Buckel. Er ist abscheulich.«
    »Ich glaube es nicht«, sagte Mary.
    Sie drehte ihm den Rücken zu und stopfte die Finger in die Ohren, denn sie wollte nichts mehr hören.
    Hinterher dachte sie lange über die Sache nach. Als Mrs. Crawford ihr an diesem Abend erzählte, daß sie in ein paar Tagen mit dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher