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Der geheime Garten

Der geheime Garten

Titel: Der geheime Garten
Autoren: Frances Hodgson Burnett
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zuerst einen langen Korridor entlang, ein paar Stufen hinauf und wieder einen Korridor entlang und noch einen, bis sich eine Tür öffnete und Schloß und Mary in einem Zimmer war, in dem ein offenes Feuer brannte und ein Abendbrot auf dem Tisch stand. Mrs. Medlock sagte: »Nun, da sind wir. Dieses Zimmer und das anschließende sind für dich. Hier sollst du sein und dich nur hier aufhalten. Du wirst es nicht vergessen, hoffe ich.«
    Auf diese Weise kam Mary Lennox in das Herrenhaus Misselthwaite. Nie im Leben hatte sie soviel Trotz in sich gefühlt wie an diesem Abend.

Martha
    Als sie am anderen Morgen die Augen öffnete, sah sie ein junges Hausmädchen, das in ihr Zimmer gekommen war, um das Kaminfeuer anzuzünden. Es kniete auf der Matte vor dem Kamin und versuchte, möglichst geräuschlos die Asche zusammenzuscharren. Mary lag und beobachtete eine Weile das Mädchen. Dann sah sie sich im Zimmer um. Sie hatte noch nie einen solchen Raum gesehen und fand ihn seltsam und düster. Die Wände waren mit einer Seidentapete bespannt, auf die Jagdbilder gestickt waren. Phantastisch angezogene Leute sah man da unter Bäumen wandeln und im Hintergrund die Türme einer Burg. Jäger und Pferde gab es da und Hunde und Damen. Mary hatte das Gefühl, sie befinde sich zwischen allen diesen Gestalten in einem Wald. Aber durch das Fenster sah sie eine karge Landschaft. Sie sah aus wie ein großer, einförmiger purpurfarbener See.
    »Was ist das?« sagte sie und zeigte auf das Fenster.
    Martha, das junge Hausmädchen, richtete sich auf und zeigte in dieselbe Richtung. »Das da?« »Ja.«
    »Das ist das Moor«, sagte sie gutmütig lachend. »Magst du es gern?«
    »Nein«, sagte Mary, »ich hasse es.«
    »Das kommt nur davon, weil du es nicht kennst«, sagte Martha und kümmerte sich wieder um das Kaminfeuer. »Du meinst, es sei zu groß und zu kahl. Aber du wirst es bald gern haben.«
    »Magst du es denn gern?« fragte Mary.
    »O ja, ich —«, sagte Martha und polierte eifrig das Kamingitter, »ich liebe es. Es ist gar nicht kahl. Es ist voll von Pflanzen, die süß duften. Es ist wunderschön im Frühling und im Sommer, wenn der Ginster blüht und die Heide. Es duftet nach Honig, und die Luft ist frisch. Der Himmel ist so hoch! Bienen und Lerchen summen und singen ein schönes Lied. Um nichts auf der Welt möchte ich vom Moor wegziehen.«
    Mary hörte ernst zu, und ihr Gesicht straffte sich erstaunt. Die eingeborenen Dienerinnen in Indien waren ganz anders gewesen. Die machten tiefe Verbeugungen und nannten sie »Beschützer der Armen« und dergleichen. Den Dienern in Indien gab man Befehle, sie wurden nicht gebeten. »Danke« und »bitte« sagte man nicht zu ihnen, und wenn sie ärgerlich gewesen war, hatte Mary ihrer Ayah ins Gesicht geschlagen. Mary überlegte, was dieses Hausmädchen wohl tun würde, wenn sie ihr eine Ohrfeige gäbe. Das Mädchen war rund und rosig und sah gutmütig aus, aber es wirkte handfest. Mary überlegte, daß es vielleicht zurückschlagen würde, wenn ein Kind ihm Ohrfeigen gäbe.
    »Du bist eine seltsame Dienerin«, sagte sie hochmütig aus ihren Kissen heraus.
    Martha kam wieder auf die Füße. Sie hielt die Messingbürste in der Hand und lachte. Sie schien nicht im geringsten verärgert zu sein.
    »Das weiß ich selber«, sagte sie. »Wenn im Herrenhaus eine große Dame regiert, dürfte ich sicher nicht einmal als kleine Küchenhilfe hier arbeiten. Vielleicht hätte ich in der Spülküche Dienst tun dürfen. Aber auf der Etage wäre ich dann sicher nicht. Ich bin zu einfach und spreche Yorkshire-Mundart. Aber dies ist ein besonderes Haus und vor allem schrecklich groß. Man hat das Gefühl, hier gäbe es keinen Herrn und keine Herrin, nur Mr. Pitcher und Mrs. Medlock. Mr. Craven kümmert sich eigentlich um nichts, wenn er hier ist. Aber abgesehen davon, ist er ja fast nie da. Mrs. Medlock hat mir aus Freundlichkeit diese Stelle gegeben. Sie sagte mir, in anderen herrschaftlichen Häusern wäre es nicht möglich gewesen.«
    »Sollst du meine Dienerin sein?« Mary fragte es in ihrer hoheitsvollen indischen Art. Martha fing wieder an, das Messing zu putzen.
    »Ich bin Hausmädchen bei Mrs. Medlock«, sagte sie tapfer. »Sie ist bei Mr. Craven angestellt — aber ich tue hier die Hausarbeit und soll ein bißchen auf dich achten. Aber du wirst mich ja kaum nötig haben.«

    »Und wer soll mich ankleiden?« fragte Mary.
    Martha staunte. »Ja, kannst du dich denn nicht selbst anziehen?«
    »Nein«,
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