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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief
Autoren: M Ernestam
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Tipperary, Wiesbaden. Queen Mary, Frauenlob. Dicker Ölqualm, kenternde Schiffe, Wrackteile im Meer. Gerahmt in den Farben der Flaggen, der deutschen und der britischen.
    Ernst Seeger. Das Hochzeitsbild, das Brigitte gern verliehen hatte. Inga fotografierte es behutsam mit dem anderen Material, das sie ebenfalls benutzen durfte. Ernst Seeger am Kai. Erna Seeger, umgeben von Verwandten und Freundinnen. Eine Laufplanke, Poller. Ein Rahmen aus vielen goldenen Ringen. Hinter Ernst Seeger, auf jedem Bild, fast unmöglich zu sehen und doch immer da, der Sonne und der Finsternis selbstsicher trotzend: Anton ohne Gesicht. Onkel Ivars Vater.
    Als Izabella zu ihr kam, blieb sie vor Ernst Seegers Bild stehen. So viele Fragen, aber noch hatte sich niemand nach Ernst Seegers Schatten erkundigt. Vielleicht dachte nur sie, dass er über alles andere fiele.
    »Was ist das für ein Gefühl?«
    Izabellas Hand, als sie sie berührte. Izabellas Lächeln, glücklich über Ingas »Genesung« und über die vielen Besucher.
    »Ein gutes. Als ob es ungefähr so geworden ist, wie ich mir das gedacht hatte.«
    Izabella lächelte kurz.
    »Alles kann immer noch ein wenig besser werden.«

    »Ich habe beschlossen, nicht mehr so zu denken.«
    »Gerade im Moment finde ich, brauchst du überhaupt nicht nachzudenken. Alle sind begeistert. Sie denken an ihre eigenen alten Familienbilder. Es ist dir wirklich gelungen, altes Handwerk neu zu erschaffen. Die Kriegsbilder sind …«
    »Gefallen sie dir?«
    »Ich finde sie sehr gut. Nicht zuletzt, weil sie mich an meine und unser aller Unwissenheit erinnern. Mir ist bis jetzt kein Mensch begegnet, der die Geschichte hinter dieser Seeschlacht gekannt hätte. Darf ich dich fragen, warum sie dich so fasziniert? «
    »Das habe ich doch schon gesagt. Es ist ein Teil meiner Küste, unserer Geschichte. Und ….«
    Sie wusste nicht so recht, wie sie erklären sollte, dass sie auf der Suche nach der Wahrheit die ganze Zeit das Gefühl gehabt hatte, das, was sie in Erfahrung brächte, würde ihr helfen können. Es musste auch so reichen. Izabellas und ihre eigenen Augen wanderten zur selben Fotografie. Mårten, gewandet in Zeitlosigkeit. Ein einsamer Wanderer auf dem Weg, eingepasst in Bilder seiner Bauten. In einem Fenster war Peter zu sehen, der bei diesem Anblick gelacht hatte und das Bild voller Stolz Sofi zeigte. Jetzt unterhielten sie sich auf der anderen Seite des Raumes mit alten Freunden.
    Peter, der Mårten und ihr dermaßen ähnlich sah. Das kleine Wesen mit der Machete würde vielleicht immer parat stehen, bereit, ihr Inneres zu zerschneiden, wenn sie es nicht verscheuchte. Aber sie würde lernen, bereit zu sein und vorherzusehen, wann dieses Wesen hinter der Erinnerung lauerte, um sich mit Weinen oder Lachen zu verteidigen.
    Sie dachte an die Tage in Deutschland. Die Wärme, die Brigitte und ihre Verwandten ihr entgegengebracht hatten. Alle hatten sich nach ihrer Geschichte erkundigt und über ihre Entdeckungen
gestaunt. Es gab keinerlei Misstrauen oder Zorn gegen Rakel, Lea und Jakob, sondern nur Verständnis für deren Vorgehen. Etwas so Entsetzliches durchmachen zu müssen. »Starke Frauen«, hatte jemand gesagt.
    In Wiesbaden hatte sie die schöne Architektur bewundert und gedacht, dass Mårten sie sicher gern gesehen hätte, so wie er von der Tortenstückkonstruktion des Fotografiemuseums in Frankfurt fasziniert gewesen wäre. In den genial angelegten Gängen hatte sie die Schöpferlust wieder verspürt, den Wunsch, ein Gefühl auszudrücken und dessen Wirkung auf andere zu sehen. Der Keim zu der Idee war an einem Nachmittag gekommen, als sie mit Brigitte in einem italienischen Café namens Paparazzi gesessen, Sekt getrunken und sich schwarzweiße Bilder von Prominenten aus früheren Zeiten angesehen hatte. Die Gesichter von Sophia Loren, John F. Kennedy und Duke Ellington hatten sie nachdenklich gemacht. Sie hatten gelebt, gehandelt und geliebt, und waren durch die Fotografen festgehalten und für die Allgemeinheit sichtbar gemacht worden. Sie waren berühmt gewesen und hatten die Möglichkeit gehabt, ihre Kunst auszuüben oder ihre Botschaft zu predigen. Wer machte die Menschen auf den unsichtbaren Fotos in den Familienalben sichtbar? Warum nicht sie, Inga?
    Dann die Arbeit. Es war befreiend gewesen, sich von etwas verschlingen zu lassen und kein paralleles Leben zu führen. Izabella reagierte sofort, sie vereinbarten einen Termin. Und dann das hier, das fertige Resultat. Normalerweise erzeugte es
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