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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar
Autoren: Ron Leshem
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durchgeführt. Der Chef der Verkehrspolizei warnt Busfahrer vor einer gelockerten Handhabung der Moralvorschriften – es muss am Straßenrand angehalten und den Passagieren ermöglicht werden zu beten, strengstens auf die Geschlechtertrennung geachtet sowie den Frauen untersagt werden, hinter dem Fahrer zu sitzen. Bei Übertretungen wird dem Fahrer die Zulassung aberkannt. Unterdessen will die Regierung außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen in Hinblick auf den Tag der Studenten einleiten. Mehr als zweihundert Studenten wurden in den letzten eineinhalb Jahren unter dem Vorwurf subversiver politischer Aktion verhaftet. Die Regierung wird voraussichtlich morgen ihren Plan zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorstellen, nachdem die Arbeitslosenrate im Kreis der Universitätsabsolventen die Zwanzig-Prozent-Marke überschritten hat. Auch die Anzahl Jugendlicher, die aus finanzieller Not eine Niere spenden, klettert stetig nach oben, meldet der Leiter der Organisation zur Unterstützung Nierenkranker. Und damit zu den erfreulichen Nachrichten. Der Autohersteller Saipa hat sein neues, sparsames Modell «Miniatur» vom Band gehen lassen, mit dessen Massenproduktion bereits in den nächsten Wochen begonnen werden soll. Präsident Ahmadinedschad hat angewiesen, den ersten Wagen im Namen der Islamischen Republik der iranischen Karatemeisterin Helen Sepahi als Geschenk zu überreichen, die von einem internationalen Wettkampf in Tokio ausgeschlossen wurde wegen ihrer Weigerung, ihren Schleier abzulegen.
    Ich gehe freundschaftlich, mit einer großen, erdrückenden Umarmung. Zahra streicht mir übers Haar und wendet sich dann dem Salon zu, berührt Gegenstände, Bücher, Fotoalben. Ihre Augen blicken durch die Wände, sie schaut mich nicht an. Sie mag keine Abschiede. «Fe’lan», sage ich zu ihr, «bis bald, wir sehen uns kommenden Donnerstag wieder.» Bis dahin wird sie sich wieder im Winter ihres Herzens, in ihren Erinnerungen einschließen.
    Ich stehe auf der Straße. Der Himmel ist still, blassgoldenes Licht. Eine Abendsonne ergießt sich über die baumbestandenen Bergflanken. Der klare, glänzende Schein beruhigt die Eichen-, Buchen- und Lindenhänge, stärkt die Obstgärten mit den Kirschen, Pfirsichen und Birnen. Ich werde das Universum nicht retten, die Last der Welt liegt nicht auf meinen Schultern. Ich werde nicht alle glücklich machen und will auch nicht, dass alle mein sind. Keine erlösende, aber auch keine erdrückende Verantwortung. Das Licht schmilzt, ich gehe und gehe, ein verschwommener Mond steigt auf. Die Stadt verliert sich im Nebel, flickt gebrochene Herzen mit der Harmonie angenehmer Routine, ein matter Wind trödelt durch die verwinkelten Gassen. Schöne Tage hatten wir hier, alles in allem. Bewölkt und verschneit und schön. Wir waren glücklich hier.
    Morgen – Freitagsgebet mit dem Obersten Führer auf dem Universitätsplatz. Was schmerzt und was tröstet, ist im Prinzip das Gleiche.

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Epilog
    Letzten Winter, am Flughafen von Madrid, grübelte ich, ob Chamad, der Kater, seine Existenzberechtigung hat. Es war ein Zwischenstopp auf dem Flug nach Südamerika, und ich machte mir Gedanken, inwieweit seine Figur für die Geschichte wichtig ist. Als ich mich im Flugzeug nach Lima auf meinem Platz niederließ, trat eine Stewardess zu mir und fragte höflich, ob ich vielleicht, wenn ich gestatten würde, damit einverstanden sei, das heißt, wenn es mich nicht stören würde, neben einer Katze zu sitzen. Ich blickte sie misstrauisch an und nickte. Sie stellte einen Käfig neben mich, in dem ein pummeliger sibirischer Tiger saß. Er gehörte einem russischen Diplomaten, der in Lima stationiert war. Der Kater hieß Art. Er rollte sich benommen in seiner Leinendecke zusammen, gab keinen Laut von sich, rührte sich nicht, musterte mich nur aus weit geöffneten Augen – der Diplomat und seine Frau erklärten, dass die Erziehung von Katzen im östlichen Uralgebirge streng sei und sich bewährt habe – und dass noch irgendein Beruhigungsmittel im Spiel sei. Als die Kabine verdunkelt wurde, holte ich die narkotisierte Fellkugel aus dem Käfig, und wir schliefen zusammen ein – ich habe ein Beweisfoto davon –, ich hoffe, dass man dafür kein Bußgeld zahlen muss. Die Welt bemüht sich redlich, Zeichen zu setzen und Antworten zu liefern, wenn ein Mensch zu schreiben versucht.
    Vor dreieinhalb Jahren lernte ich die ersten Iraner meines Lebens kennen. Es begann im Internet. Ich bin
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