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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar
Autoren: Ron Leshem
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«du hast es vorgezogen, schwach zu sein. Es gibt Gebote, das macht es dir leichter, du hast beschlossen, sie zu befolgen, sie alle, und zu fürchten, wenn du im Kleinen sündigst, wirst du im Großen erst recht scheitern. Und es macht es leichter für dich, dich daran zu erinnern, dass du Vorfahren hast. Du hast einen heiligen Koran, und auch wenn du ihn nicht ganz verstehst, weißt du, er wird dich behüten, auch das macht es leichter. Es steht darin geschrieben, dass es Dinge gibt, die ihr hasst und die Allah liebt, und es gibt Dinge, die Allah hasst und die ihr liebt, die ihr nicht wisst und Allah weiß. Du hast gewählt, du hast dich dazu verpflichtet, die Ungläubigen zu bekämpfen. Wie gelangt ein Mensch dahin, bis in seine tiefste Seele mit solcher Seelenruhe überzeugt zu sein, dass er die Gerechtigkeit gefunden hat, dass es einen Grund für seine Existenz gibt? Du willst dich an dem Glauben erfreuen, dass der Prophet ein makelloses Leben führte, das wir nachahmen müssen, und das ist ein Trost. Du liebst den Islam, du liebst es, dass der Islam auf seine Fahne die Treue zu seinen Söhnen, zur Gemeinschaft geschrieben hat. Schon allein die Absicht, Allah zu dienen, schenkt Gnade, nicht die Tat oder ihre Wirkung, wirst du zu mir sagen. Die Wahrheit befreit dich, wirst du sagen. Das hast du gewählt. Aber Nilu, warum hat meine Nilu vor ihrem Ende keine einzige Chance verdient, für einen Versuch, sich selbst zu heilen? Darauf hast du keine Antwort, wirst du sagen, wir haben uns die Gesetze nicht ausgesucht, wir haben gewählt, daran zu glauben. Das ist alles.» Das sagte ich, ergeben und geschlagen.
    Stille. Auf dem Spielbrett waren meine weißen Steine allein übrig geblieben, nur die feindliche rote Königin war noch da und näherte sich einer Sackgasse. Ich zauderte. Amir ergriff meinen Stein, ließ ihn zwei Quadrate hintereinander überspringen. «Wenn man gehen kann, muss man gehen», zitierte er die Regel, nahm seine letzte Königin vom Brett und streckte sie mir zum Zeichen der Kapitulation hin. Er lächelte, ein bittender Versuch, ich solle glauben, dass alles gut werde. Und ich fragte, ob seiner Meinung nach auch mir, wie Nilu, wie Babak, das Gesetz keine zweite Chance zugestehen würde. Ich wollte ihn nicht provozieren. Ich wollte ernsthaft die schlichten Dinge vereinfachen. Der Mensch will Vergebung.
    Am nächsten Tag fastete ich.

32
    Der Schahriwar ging dahin.
    Wie es sich für einen angehenden Revolutionär gehört, wohne ich mit Amir in einer verlotterten Herberge im Schah-Abdul-Azim-Viertel, über dem Café «Kastanienbaum». Wir schlafen in einem großen Zimmer, eine Reihe mit sieben Eisenbetten in einem schmalen Raum, der wie ein Korridor wirkt. Daneben der Duschsaal – eine Batterie von Wasserhähnen, darüber ein Spiegel, schlampig aufgehängt, und zahlreiche kalte Handtuchhaken in Reih und Glied. Unten in der Eingangshalle gibt es ein Arbeiterlokal, das ich mag.
    Um fünf Uhr morgens wecke ich Amir, und wir stürzen uns in die Kälte. Auf der Straße blättert der Verputz von den Mauern. Blaue Glühbirnen baumeln improvisiert an Drähten, die zwischen den Dächern gespannt sind, noch leuchten sie. Der jüdische Schlachter, Gabriel Hamami, schwemmt Seifenwasser von der Schwelle seiner Metzgerei. «Gott zum Gruß, Herr Hamami», winken wir ihm zu. «Ach», ruft er uns zu, «wenn die Menschen nur wüssten, wie sehr der Schöpfer sie liebt, würden sie ihm nachrennen wie brüllende Löwen.»
    «Amen», antworten wir darauf und brüllen wie junge Löwen. Und wir lachen einander an, denn überall, wo wir auch hingehen, wird uns anscheinend der verflossene Herr Ali Samimi vom Wassermelonenstand verfolgen, in allerlei Gestalten und Verkleidungen, wird uns Einsichten schenken, über uns wachen. Die Höfe sind von Zäunen und Mauern umgeben, Lehm und schmale Ziegel. Eisentüren.
    Gebet. Am Vormittag bin ich in der Universität, technische Optik, Berechnungsmechanik, Roboterbau, atomare Technik. Versuche den ganzen Stoff aufzuholen, den ich versäumt habe. Gebet. Am Mittag führen wir Touristen kreuz und quer durch die Stadt, das ist nett und ein guter Verdienst. Gebet. Am Abend sind wir im theologischen Seminar, interessant. Manchmal faste ich, dann bin ich viel konzentrierter, kann besser bereuen. Gebet. In der Nacht im Zur-chaneh, einem traditionellen Sportstudio, Ringkampftraining auf antiken Teppichen zu lautem Trommelschlag, ich mag die Leute. Gebet. In wohlig beruhigender Dunkelheit kehren
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