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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar
Autoren: Ron Leshem
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von Babak Tiban gehört hat. Im Erdgeschoss wohnt ein Paar mittleren Alters mit drei Kindern, sehr nett, nie von einer Frau Safureh gehört. Sie zahlen pünktlich. Erkundigen sich nach dem Befinden der Hausbesitzerin. Mehr weiß sie nicht, und mehr will sie auch nicht wissen. Auch sie wissen nichts, und das ist gut so. Sie haben von Nilufar Chalidian gehört. Als sie existierte, haben sie sicher von ihr gehört. Danach haben sie vergessen oder nie daran gedacht, sich zu erinnern, keine Fragen gestellt. Sie leben.
    Es ist kalt, aber der Himmel ist tiefblau, der Regen verspätet sich dieses Jahr. Ein starker Wind treibt die flockigen Wolken. Bald werden wieder graue Morgen kommen, und danach werden Massen von Schnee vom Gebirgskamm gleiten, und unten werden neue Knospen sprießen. Erinnerungsfetzen kommen mir manchmal unwillkürlich hoch. Ein französischer Abend in unserem Club im dritten Stock, Chansons auf YouTube, fast so romantisch wie auf einem Plattenspieler, Frau Safureh, wie sie im Takt auf einen Schemel trommelt. «Bald kommt wieder die Pest der Feiertagszeit, wie jedes Jahr», seufzte sie. Die Zentralheizung lief lange Tage und Nächte durch, nur von den häufigen Stromausfällen unterbrochen. Die Smogwarnungen kamen und gingen, die Alten wurden aufgerufen, zu Hause zu bleiben. Zahra sagte zu mir: «Du hängst zu viel deinen Gedanken nach.» Und Babak schwang sie mit einem strahlenden Lächeln herum, es schien, als fühlte er sich selbst berühmt, als ein Star, hier, da tanzte er mit einer Legende, der größten von allen. Sie wirbelten durch den ganzen Raum. Und ich schälte Orangen mit der alten Dame, die ihre morschen Beine hochlegte. «Je mehr du versuchst, eine Veränderung zu erreichen, desto mehr zermalmt dich diese Stadt, Kami, versuch es erst gar nicht, akzeptiere die Wirklichkeit mit Liebe», sagte sie, lachte und verfiel wieder in ihre Lügen, ihre Tage am Obersten Gerichtshof. «Jetzt ist nicht die Zeit für Träume», äußerte Zahra höchst diplomatisch taktvoll, doch Frau Safureh verteidigte sich: «Das sind keine Lügen, meine Liebe, das sind Geschichten, manchmal hat der Mensch mehr als die Wahrheit verdient.» Babak verkündete: «Ich liebe die Freiheit.» Zahra erwiderte: «Du liebst sie gerade dann, wenn sie verboten ist.» Und sie fügte hinzu: «Sie passt nicht für jeden, diese Freiheit, nicht jeder kann damit umgehen, denn die Kontamination durch die Freiheit ist manchmal schwer zu ertragen.» Nilu stand vor der Tür, um mich abzuholen. Sie streichelte mich, küsste mich, berührte mich vor den Augen aller. Sie nahm das Kopftuch ab, schüttelte ihr langes, lebendiges Haar aus, wollte das rebellische Mädchen sein, das ich liebte. Ich streckte ihr die Hand hin, sie umschloss sie mit der Faust. Sie wisse gar nicht, was sie mit dieser ganzen Freiheit anfangen solle, lachte sie. «Ich liebe dich», sagte ich zu ihr. «Beweis es», verlangte sie grinsend. Nun, hiermit beweise ich es, antworte ich mir jetzt selbst.
    Es sind nur wir drei übrig, Zahra, ich und der Kater. Wir haben kapituliert, aber wir leben, trinken Tee und lächeln häufig verlegen. Was schmerzt und was tröstet, ist im Prinzip das Gleiche. Der tragbare Computer steht wie immer auf der Holzkonsole unter dem Fensterbrett. Ich lasse rasch die Hand über die schwarze Tastatur gleiten. Ich hoffe, Zahra ist glücklich mit ihm. Sie sagt: «Nimm ihn ruhig mit, Kami, ich komme wirklich auch ohne ihn zurecht, was brauche ich einen Computer?»
    «Nein danke», erwidere ich, «momentan nicht.»
    Ich bin sicher, wenn ich anfange, Wände niederzureißen, Rahmen zu sprengen, Konventionen zu torpedieren, falle ich. Ich will nicht fallen. Es gibt immens viel Schönheit um mich herum, gute Menschen, es gibt ein Leben, das man leben kann, und es ist immerhin ein Leben, nicht mehr und nicht weniger. Ich liebe mein Land, akzeptiere es mit offenen Armen, was nicht besagt, dass ich Nilu weniger liebe, nicht einmal, dass ich mich selbst weniger liebe. Ich verspüre Reue, eine Menge, aber das ist in Ordnung.
    Zahra stellt das Radio an. Die Sieben-Uhr-Nachrichten, das Parlament hat einen Gesetzesvorschlag ratifiziert, der die Todesstrafe für Internetverbrechen verhängt, was die Provider und Blogschreiber mit einschließt, die Korrumpierung und Ketzerei ermutigen. Die Teheraner Polizei hat am Nachmittag im Rahmen einer langfristigen Kampagne zur Eliminierung von Satellitenschüsseln eine Razzia in Wohngebäuden im Nordwesten der Stadt
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