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Der Gefangene der Wüste

Der Gefangene der Wüste

Titel: Der Gefangene der Wüste
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sitte war bei den Ouled Nails – in Ketten aus goldenen Münzen an. Als Damira 10 Goldketten zusammengearbeitet hatte, holte sie Achmed aus Ghardaia nach Bou Akbir in sein Haus und heiratete sie.
    Das war vor einundzwanzig Jahren. Zwei Jahre später wurde Saada geboren, und Achmed klagte nicht tagelang laut und herzergreifend, weil das Kind ein Mädchen, sondern weil seine geliebte Damira bei der Geburt gestorben war. Seit diesem Tage lebte der Scheich von Bou Akbir allein in seinem großen, weißen Haus am Rande der Oase, zog seine Tochter groß und sah mit Wohlgefallen, daß sie noch hübscher wurde, als Damira gewesen war. Und so behandelte er Saada wie seinen Augapfel, ließ sie reiten wie einen Sohn, war stolz auf sie, als sei sie ein Held, und war so ganz anders als andere arabische Väter.
    In der Oase gewöhnte man sich daran, daß Saada wie ein Mädchen aussah, aber wie ein Junge lebte, und als die große Auseinandersetzung mit den Franzosen begann, war Saada als halbes Kind noch mit nach dem Norden gezogen, um die Verwundeten zu pflegen, die nach den Überfällen auf die Forts der französischen Soldaten aus der Wüste zurückkehrten.
    Achmeds Haus war von einer hohen Mauer umgeben, über die in üppiger Pracht wilder Wein und Malven mit roten Riesenblüten wucherten. Ein Garten mit einem sprudelnden Brunnen war der ganze Stolz des Scheichs, und oft saß er mit Freunden unter den großen, schlanken Palmen und sah Saada zu, wie sie die Blumen beschnitt und etwas außerordentlich Kostbares in dieser goldgelben, vor Hitze flimmernden Wüste besprengte … eine Wiese, eine richtige grüne, saftige Wiese, wie sie Seradji Achmed drüben in Europa bei einer seiner Reisen gesehen und auf einem Farbfilm fotografiert hatte.
    »Wenn der Prophet Saada gesehen hätte, er würde anders über die Frauen gesprochen haben«, sagte Achmed einmal zu seinen Freunden. »Ist sie nicht wie eine Houri im Siebten Himmel des Paradieses?«
    Die Freunde nickten und bewunderten Saada. Sie trug lange, schwarze offene Haare, die ihr bis zu den Kniekehlen reichten, und sie ging unverschleiert, was eigentlich ungeheuerlich war. Aber auch daran hatte man sich in Bou Akbir gewöhnt. Achmed, der Scheich, hatte Fotos aus den großen Städten mitgebracht, vor allem aus Kairo. Dort liefen die Weiber in kurzen Röcken und mit blankem Gesicht durch die Straßen. Saada dagegen trug noch die langen Gewänder, unter denen man ihre Schlankheit und das Ebenmaß ihres Körpers nur ahnen konnte. Es war eben alles in der Wandlung begriffen, die neue Zeit stürzte vieles um. O Allah, da kein Feuer vom Himmel fällt, muß es also auch dein Wille sein …
    In einer dieser Nächte – um genau zu sein, es war vier Tage nach dem Tode Bob Millers – hatte Saada einen Traum. Sie erzählte ihn sofort am Morgen ihrem Vater, und Seradji Achmed wurde sehr nachdenklich.
    »Ein Mann kam in unseren Ort«, sagte Saada und goß ihrem Vater dampfenden Kaffee in die schlanke, hohe Tasse. »Ein Fremder. Ein Europäer. Er sah mich an, mit wundervollen blauen Augen, und da öffnete sich meine Brust, mein Herz löste sich heraus und flog allein, wie ein Vogel, zu ihm hin, in seine Hand, die er offenhielt wie eine Schale. Aber dann wehte eine Wolke von Sand heran, und als sie sich verzogen hatte, war der Fremde fort … und mein Herz mit ihm. Da habe ich geweint und bin aufgewacht.«
    »Ein dummer Traum«, sagte Achmed. »Vergiß ihn, Saada.«
    »Ich habe noch nie so geträumt wie gestern. Ich habe sogar seine Stimme gehört …«
    »Welche Stimme?«
    »Die Stimme des Fremden.«
    Seradji Achmed vermied es, mit Saada weiter darüber zu sprechen. Aber als sie auf den Markt ging, um ein Stück Hammelrücken zu kaufen, rief er den uralten Kebir, einen Priester, zu sich und erzählte ihm davon. Kebir runzelte die Stirn.
    »Nimm es nicht leicht hin, Seradji«, sagte er. »Seitdem die Weißen hier sind und nach Öl bohren, hat Allah keine Macht mehr, das Unglück abzuwenden. Ich sage dir: Es wird einmal ein weißer Mann kommen und deine Saada wegnehmen in die Ferne.«
    »Nie!« Achmed richtete sich im Sitzen auf. »Ich töte ihn vorher.«
    »Er wird heimlich kommen wie die Hyäne. Mit dem Öl bricht das Verderben über uns herein! Zuerst haben wir gegen die Franzosen gekämpft, ein Jahrhundert lang … dann wurden wir ein freier Staat, aber man entdeckte das Öl unter unserer Wüste. Nun ist alles schlimmer als zuvor … der Profit verdunkelt die Augen, und wir werden verkauft für
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