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Der Gebirgspass

Der Gebirgspass

Titel: Der Gebirgspass
Autoren: Kirill Bulytschow
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so daß Oleg Angst hatte, es zu betreten. Doch ihm wurde schlagartig bewußt, daß er jetzt wichtiger war als Dick, daß der andere sich mehr fürchtete.
Dick bemühte sich inzwischen, mit Hilfe von Feuersteinen die Fackel zu entzünden. Schließlich begann sie zu brennen, mit kleiner, im Tageslicht kaum sichtbarer Flamme. Dick stieg die Leiter zur Hälfte hoch und reichte Oleg die Fackel. Weiter ging er keinen Schritt. Oleg nahm die Fackel und leuchtete ins Schiff hinein. Vor ihm lag Finsternis, unter den Füßen spürte er den rauhen, ebenen Fußboden. Und Oleg sagte laut, um die eigene Angst zu ersticken: „Na, ich geh dann. Nehmt euch gleichfalls Fackeln und folgt mir. Ich erwarte euch im Schiff!“
Der Boden unter seinen Füßen federte leicht, als würde er über die Rinde lebender Bäume schreiten. Aber Oleg wußte, daß der Fußboden etwas Lebloses war und es auf der Erde solche Bäume nicht gab. Ihm kam es vor, als würde irgendwo da vorn jemand auf ihn warten, und er blieb wie erstarrt stehen. Doch dann begriff er, daß nur sein eigener Atem, von irgendwelchen Gegenständen reflektiert, zu ihm zurückkehrte. Oleg tat erneut einen Schritt, und das Licht der Fackel, nun stärker geworden, erhellte die nach oben zu gewölbte Wand. Eine helle, glänzende Wand. Er berührte sie vorsichtig — sie war kalt. Nun bin ich also daheim, dachte Oleg. Zwar besitze ich schon ein Zuhause — die Siedlung —, aber jetzt gibt es noch dieses Haus. Es nennt sich kosmisches Forschungsraumschiff „Pol“, ist mir schon tausend Mal im Traum erschienen und in Wirklichkeit doch ganz anders. Dabei kenne ich es bereits, bin sogar hier geboren. Irgendwo im dunklen Innern des Schiffes befindet sich der Raum, in dem ich zur Welt kam.
„Wo steckst du?“ fragte Dick.
Oleg drehte sich um. Dicks Silhouette füllte fast die Lukenöffnung aus.
„Komm her, hab keine Angst“, rief Oleg, „hier ist niemand.“
„Kann auch gar nicht“, sagte Dick betont laut, „er wäre längst erfroren.“ Seine Stimme hallte durch den Korridor. Oleg hielt ihm die Fackel hin, damit er seine daran anzünden konnte. Dann wartete er, bis der andere Marjana Platz machte und auch ihre Fackel anbrannte.
Die drei Fackeln erhellten alles viel besser, nur die Kälte war gewaltig. Nicht zu vergleichen mit dem Frost draußen, denn dort lebte die Luft. Hier dagegen war sie tot.
Der Korridor mündete schon bald in eine Tür, und nun wußte Oleg, wie sie zu öffnen

    war. Dick und Marjana beobachteten ihn und erkannten die Sicherheit in seinen Handlungen. Sie war nicht absolut, verriet aber eine größere Verbundenheit mit dem Schiff, als die beiden sie besaßen. Für sie war das Schiff eine furchteinflößende Höhle, und wären nicht der Hunger, die Angst vor der Eiswüste gewesen — sie wären draußen geblieben. Vielleicht hätte sich das anders verhalten, wenn Thomas es bis hierher geschafft hätte. Oleg war in ihren Augen noch kein Führer und nicht imstande, die Geheimnisse zu lüften. Immerhin, sagten sie sich, besser Oleg als keiner.
Die Tür führte in eine runde Halle, wie sie ihnen noch nie zu Gesicht gekommen war. Hier hätte ihre ganze Siedlung Platz gefunden. Trotz des Lichts, das von den drei Fackeln ausging, lag die Decke des Raums im Dunkeln.
„Der Hangar“, sagte Oleg, womit er die vom Alten übernommenen Worte wiederholte. „Hier befinden sich die Landeboote und die anderen Transportmittel. Doch bei der Landung wurde die Stromversorgung außer Betrieb gesetzt, was verhängnisvolle Folgen hatte.“
„Ja, die Besatzung und die Passagiere waren gezwungen, den Weg durch die Berge zu Fuß zurückzulegen“, ergänzte Marjana.
Der Alte hatte im Unterricht immer darauf gedrungen, daß sie die Geschichte der Siedlung auswendig lernten, auch den Beginn dieser Geschichte, damit sie das nie vergaßen. „Wenn die Menschen kein Papier besitzen“, sagte er stets, „lernen sie ihre Geschichte auswendig. Ohne die Geschichte geben sie ihr Menschsein auf.“
„Und das alles unter großen Opfern …“ fuhr Dick fort, verstummte aber sofort. Hier war es unmöglich, laut zu sprechen.
Vor ihnen, den Weg versperrend, lag ein etwa zehn Meter langer Zylinder.
„Aha“, sagte Oleg, „das muß das Landeboot sein, das sie aus dem Hangar schleppen wollten, bevor sie überstürzt aufbrechen mußten.“
„Wie kalt es hier ist“, sagte Marjana.
„Ja, es ist noch die Winterkälte“, erwiderte Dick. Und an Oleg gewandt, dessen Führungsrolle er nun doch
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