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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter
Autoren: Megan Whalen Turner
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werden. Sind die Tauben gar, Moira, meine Liebe?«
    Die Schreibende sah mit zusammengekniffenen Augen die Reihe von Vögeln an, die auf Spießen über dem Feuer brieten. »Noch nicht«, sagte sie.
    »Du bist doch nicht erzürnt, nicht wahr, Moira?«, fragte der Dieb in liebenswürdigem Ton.
    »Nein«, antwortete Moira. »Du hast doch freundlicherweise das Webstück hierhergebracht, so dass ich etwas Arbeit nachholen kann, während wir uns hier treffen.«
    »Moira ist meine Tochter«, sagte die Göttin hinter Helena. »Und wir haben einander jahrelang nicht gesehen. Nein, sieh nicht nach, Moira; ich muss nicht wissen, wie lange genau es her ist. Es war jedenfalls zu lange. Du solltest diesen Frauen sagen, dass sie selbst Buch führen sollen.«
    Moira schüttelte den Kopf.
    »Oder den Männern. Sag den Sterblichen, dass sie ihre eigene Geschichtsschreibung anlegen sollen.«
    Moira lächelte. »Sie tun doch schon so viel. Ich habe immer weniger zu tun.«
    »Gut«, sagte die Göttin, ihre Mutter, die, wie Helena aufging, der Wind Periphys sein musste.
    »Ich bin sicher, dass es immer genug geben wird, um dich beschäftigt zu halten«, sagte Eugenides. Er hatte sich auf den Bauch gelegt, das Kinn in die Hände gestützt und die Knie angewinkelt, so dass er mit den Füßen in der Luft schlenkerte.
    »Ausreichend beschäftigt«, pflichtete Moira ihm bei.
    »Ich möchte, glaube ich, etwas Wein«, sagte die Göttin. »Holst du mir bitte einen Becher, kleines Küken?«
    Als Helena einen Blick über die Schulter warf, wies die Göttin auf einen Tisch, den sie vorher noch nicht gesehen hatte. Sie blinzelte, weil sie sich unsicher war, ob der Tisch schon da gewesen war, bevor die Göttin darauf gezeigt hatte. Er stand im schwachen Licht zwischen den Kerzenleuchtern; vielleicht hatte sie ihn auch nur übersehen. Es war ein niedriger Tisch, dessen Platte mit silbernen Intarsien verziert war und Teller voller Speisen trug. Es standen auch Becher darauf, die zum Weingeschirr passten. Helena stand auf und goss den Wein in das Mischgefäß. Sie vermied es sorgfältig, das Essen anzusehen, während sie Wasser zum Wein gab und beides vermengte. Dann drehte sie sich um, um die Schale dem Altar entgegenzuheben.
    Sie zögerte, wenn auch nur einen Moment lang; der Wein schwappte in der Schale, aber es gelang ihr, sie wieder ins Gleichgewicht zu bringen, ohne dass ein Missgeschick geschah. Sie hatte den Wein automatisch hochgehoben, damit er gesegnet wurde, aber hier befand sich keine unpersönliche Statue eines Gottes oder einer Göttin über dem Altar, sondern nur Eugenides,
der spöttisch dreinblickte. Helena zog in Erwägung, sich an die Göttin zu wenden, die auf der Liege ruhte, aber sie war sich nicht sicher, ob der Tempel Periphys gehörte. Es war unwahrscheinlich, dass er Moira geweiht war. Helena traute es Eugenides durchaus zu, dass er es sich und seinen Freunden in einem fremden Tempel bequem gemacht hatte. Amüsiert setzte Eugenides Helenas Dilemma ein Ende, indem er die Hand zu einem Segensgestus hob. Der Wein war offiziell gesegnet. Helena verbarg höflich ihre eigene Erheiterung, verneigte sich in seine Richtung und kehrte zum Tisch zurück, um den verdünnten Wein in einen Becher zu gießen; sie achtete darauf, keinen einzigen Tropfen zu verschütten. Dann trug sie den Wein zur Liege und fiel auf die Knie, den Blick bescheiden gesenkt.
    Statt den Wein zu nehmen, hob die Göttin die Hand, um Helena über die Wange zu streichen. Sie schob ihr einen Finger unters Kinn, hob es an und blickte ihr in die Augen. Einen Moment lang sah Helena etwas jenseits dieser etwas albernen Frau, etwas so Gewaltiges, dass Helena sich fühlte, als ob sie in den Nachthimmel hinaufstarrte und dabei in Gefahr war, mitten hineinzustürzen.
    »Sie taugt dazu«, hörte sie die Göttin sagen. »Sehr gut sogar.«
    »Natürlich«, erwiderte Eugenides, sprang vom Altar und ging um den zerknüllten Haufen herum, den der Teppich der Parzen bildete. »Aber was sie im Augenblick will, ist eine Taube, also nimm den Weinbecher, sonst nehme ich ihn.«
    Periphys griff nach dem Becher und bedeutete Helena mit einem Lächeln, sich wieder auf das Kissen zu setzen. »Sind sie gar?«, fragte sie.
    »Nun, ich bin es müde zu warten, also sage ich, dass sie gar sind«, entgegnete Eugenides. Er hob zwei Spieße vom Feuer und trug sie herüber. Zu Helenas Erstaunen kam er zuerst zu ihr. Er hockte sich vor sie hin, um ihr einen Moment lang in die Augen
zu sehen, als ob er
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