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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor
Autoren: Robert Littell
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schickte ihr eine verspielte Botschaft – ich faltete die Sachen alle auseinander. Später, als die tiefgefrorenen Pizzas im Backrohr auftauten, sah ich, daß Rain mich sehnsüchtig anlächelte, um mich zu erinnern – als ob ich das je vergessen könnte –, wem ihre Kernloyalität gilt.
    Als wir so an dem Glockenspielturm standen und warteten, hielt Dwayne Ausschau nach dem Rebbe. Dann sah er die aufziehenden Gewitterwolken und sagte: »Wenn er nicht bald eintrudelt, werden wir die Hochzeit verschieben müssen.«
    Shirley blinzelte unschuldig. »Oder Rain kriegt eine verregnete Trauung.«
    »Wahrscheinlich hat den Rebbe die Busfahrt von New York zu sehr angestrengt«, mutmaßte ich. »Am besten fährt einer von uns zum Kakerlaken-Motel und sieht nach, ob er nicht schläft.«
    Wir hatten das Aufgebot bestellt, gleich nachdem wir die Ergebnisse der Blutuntersuchung bekommen hatten. Unwillkürlich versuchte ich, mit meiner Zweitunterschrift zu unterschreiben – man weiß ja nie, wann man mal abstreiten muß, daß man verheiratet ist, oder? –, aber im entscheidenden Moment stellte ich fest, daß ich meinen Namen nicht mehr rückwärts schreiben konnte, und setzte doch meine richtige Unterschrift über die gepunktete Linie. An dem Abend rief Rain bei der Late-Night Talkshow an, um Bescheid zu sagen, daß sie nicht mehr anrufen würde.
    »Also, zu welchem Horizont segelst du dann jetzt davon?«
    »Ich sag’s dir.« – »Ich sag’s dir, wie’s ist: Ich bin verliebt. Ich geh auf eine Reise, die kein Ende hat. Sie heißt Ehe.«
    »Na ja, jedem Tierchen sein Pläsierchen. Manche meinen halt, daß sie unbedingt auf den Zweiertrip gehen müssen. Falls du zuhörst, Charlene, Schatz – daß du mir ja nicht auf dumme Gedanken kommst. Two for tea, tea for two, das ist ein hübscher Text für eine Schnulze. Im wirklichen Leben muß man an so was arbeiten.«
    Rain war sofort auf hundertachtzig. »Du kannst dir deine.« – Du kannst dir deine guten Ratschläge an Charlene – die wahrscheinlich sowieso nicht existiert, ja?, ich mein, welches Mädchen, das noch alle Tassen im Schrank hat, würde sich schon einen Typen wie dich als Freund wünschen? –, du kannst dir deine guten Ratschläge in den Arsch stecken, du Arschloch.«
    Der Himmel über Backwater verfinsterte sich zusehends, ich fragte mich allmählich, ob meine zweite Hochzeit buchstäblich ins Wasser fallen würde, als Shirley auf den ersten Querbalken des Glockenspielturms kletterte und den Rebbe kommen sah. »Ich seh ihn, Schatz«, rief sie aufgeregt Dwayne zu, der gerade an einen Baum pinkelte. »Er hat doch nicht verschlafen.«
    Der Rebbe, so konnte man nur vermuten, mußte auf dem Fußweg, der hinter der Kampus Kave vorbeiführt, den Hügel heraufgekommen sein und am Küchenabzug Speck gerochen haben, denn als er am Glockenspielturm ankam, kurzatmig, puterrot im Gesicht und mit Schweißflecken auf dem gestärkten Kragen, dachte er eindeutig an die Thora.
    »Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan«, stöhnte er, und nach den Säcken unter seinen Augen zu urteilen war das keine Übertreibung. Er stellte die neue Stoff-Einkaufstasche aus dem E-Z Mart, die ich ihm geschenkt hatte, auf den Boden, nahm seinen schwarzen Filzhut ab und wischte das Schweißband mit dem Zipfel seiner Krawatte ab. »Ich habe mit List und Tücke einen Sinn in Passagen der Thora gefunden, die seit Jahrtausenden Rabbinergehirnen getrotzt haben. Ich habe den babylonischen Talmud nach Hinweisen durchforstet.«
    »Nach Hinweisen worauf?« wollte Rain wissen.
    »Darauf, wie ein bestallter Rebbe, und nicht minder ein Or Hachaim Hakadosch aus Brooklyn, einen Juden mit einer Katholikin verheiraten kann, selbst wenn sie abgefallen ist.«
    Ich kannte den Rebbe gut genug um zu begreifen, daß das für ihn kein theoretisches Problem war. Auf eine Art und Weise, die ich nie nachvollziehen konnte, nahm er die Gebote und Verbote ernst, die der Soundso vom Berg gebracht hatte, glaubte er, daß das Rituelle vor dem Ridikülen in Schutz genommen werden müsse.
    Dwayne knöpfte sich die Hose zu und kam herübergeschlendert. »Sie sagen ›abgefallen‹, als ob das was Unanständiges war«, neckte er den Rebbe.
    Shirley schob die Hand in die Gesäßtasche von Dwaynes Jeans. »Er muß was gefunden haben, Schatz, sonst war er gar nicht gekommen.«
    »Um die Wahrheit zu sagen«, sagte der Rebbe, »ich hatte schon fast aufgegeben, schließlich kann man so viel auch nicht in einer Nacht lesen, da ging mir
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