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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Autoren: C.H.Beck
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eine armselige Nachahmung der Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag, denkt sie – wie ein schlechter Ehemann, der seine unglückliche Frau an die guten alten Zeiten erinnert, wohl wissend, dass sie endgültig vergangen sind. Als die Briten am 26. Juni 1960 abgezogen waren, waren alle in ihren
Eid
-Kleidern aus den Häusern geströmt und hatten sich beim städtischen
khayriyo
zwischen Nationalbank und Gefängnis versammelt. Es war, als wären sie betrunken oder verrückt; Mädchen wurden in dieser Nacht schwanger, und auf die Frage, wer der Vater des Kindes sei, antworteten sie dann: «Fragt die Flagge.» In dieser Nacht, eingequetscht in eine bunte Menschenmenge, hatte Kawsar einen langen Goldohrring verloren, der Teil ihrer Aussteuer gewesen war, aber Farah, ihrem Mann, war es egal gewesen – es sei ein Geschenk an das neue Land, meinte er. Die Party war zum Freedom Park weitergezogen und hatte bis zum nächsten Morgen gedauert, die verschlafene Stadt hatte sich in einen Spielplatz verwandelt, die Jugend des Landes trunken im Glauben, etwas erreicht zu haben, was ihren Altvorderen nicht gelungen war. Später meinten die Menschen halb im Scherz, dieser Tag habe die Frauen von Hargeisa verändert, nach diesem Bacchanal seien sie nie wieder zu ihrem bescheidenen, ruhigen Leben zurückgekehrt, habe man erst einmal einen Zipfel der Freiheit zu fassen bekommen, wolle man das ganze Tuch.
    Ein Flattern in der Gebärmutter lenkt Kawsar von der Marschkapelleab, die neben ihr die Instrumente stimmt. Ein Gefühl, das mittlerweile regelmäßig wiederkehrt, als streiften Fingernägel über ihr Innerstes, als pulsierte tief in ihr ein Herzschlag. Schon jetzt zappelt Maryams Tochter herum, zieht beim Versuch, sich aus dem Tragetuch zu winden, ihre Mutter mit den molligen Händchen an den Haaren. Maryam klapst dem Kind auf den Schenkel, damit es sich beruhigt, bringt es damit aber nur noch mehr in Harnisch. Was war das doch für eine unkomplizierte Phase, wenn einem Kind der Sinn lediglich nach ein bisschen Herumlaufen stand, ehe es einem müde wieder in die Arme sank. Hodan hatte sich an solchen Tagen an Kawsars Schulter geschmiegt und geschlafen, damals, als die Menschen noch leichtgläubig waren und mit echten Gefühlen das Regime feierten, als der Glanz der Unabhängigkeit allem noch einen Zauber verlieh – unsere ersten Schulbücher auf Somalisch, unsere erste Fluggesellschaft, alles ein Wunder. Es war der Stern, der den ganzen Kummer verursacht hatte: Jener fünfzackige Stern auf der Flagge – jede Spitze stand für einen Teil des somalischen Vaterlandes – hatte zum Krieg mit Kenia und später mit Äthiopien geführt, hatte das zerstörerische Verlangen befeuert, Landstriche zurückzuerobern, die seit Langem verloren waren. Die letzte Niederlage veränderte alles. Nach 1979 richteten sich die Waffen von außen nach innen, auf die Somalier; die Wut gedemütigter Menschen feuerte über die Haud-Wüste hinweg zurück.
    Filsan verabscheut, wie flach Hargeisa ist. In Mogadischu ragen die Gebäude hoch auf und blenden das Auge mit ihrem Weiß; hier klebt alles am Boden, kauernd und unterwürfig, oft sind die billigen Lehmziegelbungalows nicht gestrichen, als wäre die Stadt von Riesentermiten bewohnt, die ihre Behausungen aus Dreck und Spucke zusammenschustern. In Mogadischu sind die ältesten Wohnhäuser aus Korallengestein, sie besitzen feines Gitterwerk aus Holz und Gewölbedecken, die einen mit Staunen erfüllen. Wenn man im Stadtzentrum herumspaziert, wo sich die Gässchen bisweilen bis auf Schulterbreite verengen, ist es manchmal, als ginge man durch einen Traum, weiß man doch nie, was hinter der nächsten Ecke auftaucht: ein Mann mit bloßem Oberkörper, der auf seinem schmalen schwarzen Rücken einen silbernen Schwertfischträgt, eine Schar Kinder, die von ihren Holztafeln Koransuren ablesen, oder ein Mädchen, das eine weiße Kuh melkt, deren Hörner einer Leier gleichen. Dieser Ort ist voller Zauber und Geheimnis, mit jedem Schritt bewegt man sich durch die Zeiten; wie passend, dass die Stadt am Meer liegt, wo ihre Seele atmen kann, statt von Bergen umschlossen zu sein wie ein Dschinn von der Flasche.
    Neben ihr steht die Guddi-Marschkapelle mit indigoblauen Uniformröcken und weißen Käppis, alte Männer, die ihre alten Instrumente stimmen. Was ihnen an Talent fehlt, machen sie mit Gefallsucht wett; quäkend werden sie herumstapfen, bis man sie zum Aufhören auffordert. Die Musiker in Hargeisa sind Dilettanten;
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