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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Autoren: C.H.Beck
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seiner Gegenwart geduckt und kleingemacht hat. Es gibt keine Möglichkeit, sich vom Blut reinzuwaschen, aber sie kann ihrem alten Leben den Rücken kehren.
    Filsan stemmt sich gegen die Schubkarre, beißt sich auf die Unterlippe, sammelt die letzten Kraftreserven wie ein geschlagenes Maultier. Schwankend kommen sie vorwärts und nähern sich dem armen Viertel auf der anderen Seite der Oase. Die Häuser aus Pfählen und Stoff sind zu Asche verbrannt – die Vorhut der Soldaten hat nichts zum Plündern gefunden und alles bis auf den letzten Rest, alles was Schmiede, Latrinenreiniger und Schuster zurückgelassen haben, zerschlagen, zerfetztund angezündet. In den Ruinen schwelen Fünf-Schilling-Flipflops vor sich hin.
    Filsan stolpert über den Abfall und stützt sich Halt suchend auf Kawsars Schulter. Kawsar ihrerseits wirft ihr einen anklagenden Blick zu, als hielte sie Filsan persönlich verantwortlich für das, was sie da sieht.
    Deqo geht ein paar Schritte voraus, sucht den Horizont ab und blickt alle paar Sekunden über die Schulter, um sicherzugehen, dass die anderen immer noch bei ihr sind.
    «Geh nicht in diese Richtung, da gibt es nur wilde Tiere. Wir müssen den Hügel hoch, damit wir zur Hauptstraße kommen!», ruft Kawsar aus.
    Filsan schiebt die Schubkarre die Hügelkuppe hoch, und als Kawsar sich wieder in der Waagrechten befindet, lässt sie sich erschöpft auf den Rücken fallen. Die ganze Nacht über sind sie unterwegs gewesen, und jetzt dreht sich der transparentblaue Himmel schwindelerregend über ihr. Deqo gießt ihr Wasser in den Mund, Filsan verschluckt sich, schiebt die Thermoskanne weg und schließt die Augen.
    «Los doch», befiehlt Kawsar, «ich kann schon die Straße sehen.»
    «Ich kann nicht mehr.»
    «Es ist schon hell, wir können hier nicht einfach rumsitzen.»
    Filsan gibt keine Antwort, sondern legt die Hand über die Augen und versucht, die Situation und ihre Begleiterinnen auszublenden.
    Die unermüdliche Deqo hüpft ungeduldig auf der Stelle. «Ich seh mal nach, was sich auf der Straße tut.»
    «Sei leise», zischt Kawsar ihr nach.
    In den zehn Minuten, die Deqo fort ist, schläft Filsan ein. Das Mädchen kommt zurück und rüttelt sie rabiat wach. Die junge Frau spannt ihre Hände um die Schubkarrengriffe und taumelt Deqo nach, die voraustrabt und auf etwas vor ihnen zeigt.
    In dreißig Metern Entfernung taucht ein weißer Lastwagen auf, die Ladefläche quillt über von Flüchtlingen und
Khat
-Kisten. Mit laufendem Motor hält das Fahrzeug an, und ein Mann, der auf einem Streichholz kaut, kommt auf sie zu. Der
Khat-
Schmuggler ist ungefähr dreißig, hat auf der Wange eine tiefe Narbe und verfilztes Haar.
    «Eine halbe Million Schilling, und ich bringe euch alle zur äthiopischen Grenze.»
    Kawsar schließt das Kästchen auf, das sie umklammert hält, und durchwühlt es. Wenn man noch die Goldohrringe dazunimmt, die sie trägt, könnte es reichen.
    Ohnmächtig steht Filsan hinter Kawsar, die ihre Ohrringe abnimmt und alles dem Schmuggler gibt.
    Er schiebt das Streichholz hinters Ohr und zählt die Ausbeute nach, fletscht dabei angeberisch die grünen und goldenen Zähne, grunzt zustimmend, nimmt Filsan die Schubkarre aus der Hand und rennt mit Kawsar los, als wöge sie nichts und hebt sie auf die Pritsche. Mürrisch rutschen die Passagiere zur Seite, bieten aber keine Hilfe an, als Kawsar vor Schmerz aufschreit. Deqo springt neben sie, und Filsan krabbelt in dem Augenblick auf die Ladefläche, als der Lastwagen losfährt.
    Die Schmuggler fahren so schnell, wie es ihr vierzig Jahre altes Fahrzeug erlaubt, umgehen alle Checkpoints, indem sie abseits der Straßen fahren; gemütlich sitzen die
Khat
-Händler in ihrem Führerhaus, während es die Flüchtlinge hinten umherwirft. Zähne klirren gegen Metallstangen, Nasen knallen gegen Schädel, Rippen werden an
Khat
-Kisten geprellt. Deqo gegenüber sitzt eine weinende Schwangere, der das Blut zwischen den Beinen herausläuft. Sie durchqueren die Haud-Wüste und erreichen binnen zweier Stunden die äthiopische Wildnis; die Flüchtlinge werden angewiesen, hier an diesem kargen Ort, Harta Sheikh, auszusteigen, der Lastwagen fährt nach Dire Dawa weiter. Die Schmuggler setzen Kawsar unter einem Baum ab.
    «Da drüben, das Lager ist gleich da drüben!», schreit der Mann mit den Goldzähnen und zeigt in die Ferne.
    Filsan bleibt bei Kawsar, Deqo folgt den anderen Flüchtlingen und bleibt nach einer halben Stunde unvermittelt stehen. Der
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