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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Autoren: C.H.Beck
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gestrichenen Bungalow zu und schielt durch einen Spalt in der Hintertür in einen dunklen leeren Flur. Die Stäbe vor demKüchenfenster sollen Diebe vom Einbruch abhalten, der Abstand zwischen ihnen ist aber breit genug für sie; Deqo lässt ihr Bündel fallen und kriecht hindurch und fällt mit den Füßen voran in einen Haufen Töpfe.
    In der Küche ertönt ein Scheppern, ein auf dem Boden tanzender Topfdeckel, und Kawsar wendet den Kopf in Richtung der halb offen stehenden Küchentür.
    «Kommt nur, ich bin bereit», sagt sie mit einer Stimme, die nicht wie ihre eigene klingt.
    Die Küchentür schwingt neckisch hin und her, aber niemand kommt hindurch. Einmal hatte sie in ihrer Küche einen Dieb ertappt, ihn festgehalten und mit ihm gekämpft, als er durch die Hintertür flüchten wollte, und nun ist sie bereit, den Soldaten gegenüberzutreten.
    «Soobax!
Kommt raus!», gellt sie.
    Nichts rührt sich. Kawsar nimmt ihr Glas und wirft es mit aller Kraft gegen die Küchentür. Das Glas zerschellt an der Türklinke, Regenbogen blitzen auf, als die Scherben zu Boden klirren.
    Eine geduckte Gestalt erscheint, wie von den von Kawsar hervorgezauberten Gelb-, Rot- und Blautönen herbeigelockt, ein kleines, verschwommenes Etwas. Ein Mädchen mit zerzausten Zöpfen und einem blutroten Hängerkleidchen, die Hände auf dem Rücken, als wäre es bei einer Parade.
    «Hodan?» Jetzt ist Kawsar wütend, hat die Nase voll davon, dass ihr Kind sie quält.
    Das Mädchen blickt zu Boden, hat das Kinn gesenkt, ein Fächer schwarzer Wimpern verbirgt die Augen. Diesmal löst es sich nicht auf.
    «Antworte mir», verlangt Kawsar, und ihr Herz pocht noch heftiger. Ihre Blicke suchen das Mädchen nach Verletzungen ab, aber sie kann keine entdecken; es tut wohl nur so, als könne es nicht sprechen.
    «Verschwinde aus meinem Haus, wenn du nicht mit mir reden willst.» Streng zeigt Kawsar auf die Vordertür.
    Das Mädchen gibt keine Antwort, rührt sich keinen Millimeter. Seine nackten Füße sind staubig, die langen Beine sind hochgeschossen wie Unkraut aus einem aufgeplatzten Straßenbelag, aber seine Ähnlichkeitmit Hodan ist unverkennbar: das herzförmige Gesicht, die Grübchen, der gertengleiche Körper, alles wie bei ihrem Kind.
    «Pass auf deine Füße auf, nimm dich vor dem Glas in Acht», sagt Kawsar, und ihre Stimme klingt weicher.
    Das Mädchen spreizt die Zehen, verlagert das Gewicht, bleibt aber wie angewurzelt stehen. Sein Kleid ist an der Seite zerrissen.
    Kawsar holt tief Luft. «Was willst du von mir?»
    «Ich will mich einfach bloß ausruhen.» Das ist nicht Hodans Stimme; sie klingt tiefer und matter.
    «Dann ruh dich aus.» Kawsar wedelt mit der Hand in Richtung Nurtos Matratze.
    Das Mädchen geht vorsichtig zur Couch hinüber und schlägt langsam die Beine unter, zieht schüchtern den Rock zwischen die Knie. Nervös kaut sie auf der Unterlippe wie Kawsar als Kind.
    «Wie heißt du?»
    «Deqo.»
    «Wo kommst du her?»
    «Aus dem Graben», sagt sie. Bestimmt hört die alte Frau das lieber als Saba’ad.
    «Wo ist deine Familie?»
    «Ich bin allein.» Das Mädchen sieht ihr in die Augen.
    Kawsar zieht es bei diesen Worten das Herz zusammen.
    «Woher weiß ich, dass du mich nicht bestehlen willst?»
    Deqo zuckt mit den Schultern, plötzlich ist sie missmutig und der Fragen müde. Sie pult Dreck unter ihren Fingernägeln hervor.
    Abwägend gleitet Kawsars Blick über sie, von den kurzen Zehen bis zum stumpfen, verknoteten Haar. Sie sieht aus wie eines der robusten, schmarotzenden Kinder, wie sie in Zeiten der Hungersnot geboren werden, und ist wahrscheinlich im Alter von ein paar Wochen aus Äthiopien hierhergebracht und mit Regenwasser und Zucker ernährt worden, einzig von einem stählernen und erwachsenen Willen am Leben gehalten.
    Das Zimmer ist wie ein Grab, staubbedeckt, und die abgestandene Luft riecht säuerlich. Deqo beobachtet die alte Frau eine Weile, ehe sie diesichere Küche verlässt. Sie erinnert das Mädchen an die alten Weiber in Saba’ad, die in ihren winzigen
buuls
Zeremonien vollziehen und Namen tragen wie Sheikha Jinnow oder Hajiya Halima, sie sind diejenigen, die wissen, wie man zur Ader lässt, Krankheiten herausbrennt, wie man die Myriaden von Gebrechen, an denen die unglücklichen Frauen im Lager ständig leiden, diagnostiziert und heilt. Ihre Frömmigkeit rührt von den Pilgerfahrten zu Heiligengräbern und dem Wunder ihres langen Lebens her. Diese alte Frau muss von ihrer Nähe zu Gott wohl so
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