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Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition)
Autoren: Erich Kästner
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ist doch nicht komisch.«
    »Warten Sie ab, bester Herr Fabian. Warten Sie nur ab! Die Frau – hübsch war sie, das muß man ihr lassen – poussierte gleichzeitig mit einem Herrn vom Nebentisch. Und das in einer Weise! Nietenführ holte mich unauffällig heran. Der Anblick war toll. Der Kerl steckte ihr schließlich einen Zettel zu. Sie las, nickte, schrieb ihrerseits einen Wisch und warf ihn auf den Nebentisch. Währenddessen sprach sie aber auch auf ihren Freund ein, erzählte ihm Geschichten, über die er sich freute, – ich habe schon sehr tüchtige Frauen gesehen, aber diese Simultanspielerin übertraf alle.«
    »Warum ließ er sich denn das gefallen?«
    »Einen Moment, bester Herr Fabian. Die Pointe kommt sofort! Also, wir wunderten uns natürlich auch, warum er sich das bieten ließ. Er saß zufrieden neben ihr, lächelte einfältig, legte den Arm um ihre Schulter, und währenddessen nickte sie dem Mann vom Nebentisch zu. Der nickte zurück, machte Zeichen, und uns blieb die Spucke weg. Nietenführ ging dann hinüber, weil sie zahlen wollten.« Herr Kowalski steckte den massigen Kopf hoch und lachte himmelwärts.
    »Nun, woran lag’s?«
    »Der Mann, mit dem sie zusammensaß, war blind!« Der Wirt machte eine Verbeugung und lief, laut lachend, davon. Fabian blickte erstaunt hinterher. Der Fortschritt der Menschheit war unverkennbar.
    An der Tür ging es lebhaft zu. Nietenführ und der Hilfskellner waren damit beschäftigt, einen schäbig gekleideten Mann hinauszudrängen. »Scheren Sie sich auf der Stelle fort. Den ganzen Tag diese Bettelei, das ist ja ekelhaft«, sagte Nietenführ zischend. Und der Hilfskellner zerrte den Menschen, der blaß war und kein Wort sprach, hin und her.
    Fabian sprang auf, lief zu der Gruppe und rief den Kellnern zu: »Lassen Sie sofort den Herrn los!« Die zwei gehorchten widerstrebend.
    »Da sind Sie ja«, meinte Fabian und gab dem Bettler die Hand. »Es tut mir außerordentlich leid, daß man Sie gekränkt hat. Entschuldigen Sie, und kommen Sie an meinen Tisch.« Er führte den Mann, der nicht wußte, wie ihm geschah, in seine Ecke, hieß ihn Platz nehmen und fragte: »Was möchten Sie essen? Wollen Sie ein Glas Bier trinken?«
    »Sie sind sehr freundlich«, sagte der Bettler. »Aber ich werde Ihnen Ungelegenheiten machen.«
    »Hier ist die Speisekarte. Suchen Sie sich, bitte, etwas aus.«
    »Das geht nicht! Man wird mich vom Tisch wegholen und hinausschmeißen.«
    »Das wird man nicht tun! Nehmen Sie sich zusammen! Bloß, weil Ihr Jackett geflickt ist und weil Ihnen der Magen knurrt, wagen Sie nicht, richtig auf dem Stuhl zu sitzen! Sie sind ja selber mitschuldig, daß man Sie nirgends durch die Tür läßt.«
    »Wenn man zwei Jahre arbeitslos ist, denkt man anders darüber«, sagte der Mann. »Ich schlafe am Engelufer in der Herberge. Zehn Mark zahlt mir die Fürsorge. Mein Magen ist krank vom vielen Kaviar.«
    »Was sind Sie von Beruf?«
    »Bankangestellter, wenn ich mich recht entsinne. Im Gefängnis war ich auch schon. Gott, man sieht sich eben um. Das einzige, was ich noch nicht erlebt habe, ist der Selbstmord. Aber das läßt sich nachholen.« Der Mann saß auf der Stuhlkante und hielt die Hände zitternd vor den Westenausschnitt, um das dreckige Hemd zu verbergen.
    Fabian wußte nicht, was er sagen sollte. Er probierte, im Kopf, viele Sätze. Keiner war am Platz. Er stand auf und sagte: »Einen Augenblick, der Kellner wünscht, von einer Abordnung geholt zu werden.« Er lief nach dem Büfett, stellte den Oberkellner zur Rede, faßte ihn am Arm und schleppte ihn durchs Lokal.
    Der Bettler war fort.
    »Ich zahle morgen!« rief Fabian, stürzte aus dem Café und sah sich um. Der Mann war verschwunden.

Drittes Kapitel Vorgesetzte sind streng, aber gerecht – Ein ehemaliger Blinddarm erregt Aufsehen – Gibt der Klügere nach?
    Natürlich kam Fabian zu spät ins Büro. Direktor Breitkopf stand, wie immer, und als wäre er nie krank gewesen, im Korridor. Er zog, als er des Propagandisten ansichtig wurde, die goldne Uhr aus der Weste und sagte: »Ihre Uhr geht vermutlich falsch?«
    »Das wollen wir nicht hoffen, Herr Direktor«, gab Fabian zur Antwort, beugte sich interessiert über die Uhr des Chefs, holte die eigne aus der Tasche, verglich gewissenhaft die Zeiten und erklärte: »Ihr Vorwurf trifft mich zu Unrecht. Meine Uhr geht richtig!«
    »Ich wollte Ihnen nur einen plausiblen Entschuldigungsgrund in die Hand geben.« Breitkopfs Stimme vibrierte.
    »Das geht
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