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Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition)
Autoren: Erich Kästner
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Kellner setzte das Grammophon in Gang. An den Tischen entstand Bewegung. Man tanzte.
    Fabian betrachtete die Blondine sorgfältig. Sie hatte ein blasses infantiles Gesicht und sah zurückhaltender aus, als sie, ihrem Tanzen nach, zu sein schien. Er schwieg und spürte, daß in wenigen Minuten jener Grad von Schweigsamkeit erreicht sein werde, der den Anfang eines Gesprächs, eines belanglosen dazu, unmöglich macht. Glücklicherweise trat er ihr auf den Fuß. Sie wurde gesprächig. Sie zeigte ihm die zwei Damen, die einander neulich wegen eines Mannes geohrfeigt und die Kleider aufgerissen hatten. Sie berichtete, daß Frau Sommer ein Verhältnis mit dem grünen Liliputaner habe, und erklärte, daß sie sich diese Liaison nicht auszumalen wage. Schließlich fragte sie, ob er noch bleiben wolle; sie breche auf. Er ging mit.
     
    Am Kurfürstendamm winkte sie einem Taxi, nannte eine Adresse, stieg ein und nötigte ihn, neben ihr Platz zu nehmen. »Aber ich habe nur noch zwei Mark«, erklärte er.
    »Das macht fast gar nichts«, gab sie zur Antwort, und dem Schofför rief sie zu: »Licht aus!« Es wurde dunkel. Der Wagen ruckte an und fuhr. Schon in der ersten Kurve fiel sie über ihn her und biß ihn in die Unterlippe. Er schlug mit der Schläfe gegen das Verdeckscharnier, hielt sich den Kopf und sagte: »Aua! Das fängt gut an.«
    »Sei nicht so empfindlich«, befahl sie und überschüttete ihn mit Aufmerksamkeiten.
    Ihm kam der Überfall zu plötzlich. Und der Schädel tat ihm weh. Fabian war nicht bei der Sache. »Ich wollte eigentlich, bevor Sie mich erwürgen, noch einen Brief schreiben«, röchelte er.
    Sie boxte ihn vors Schlüsselbein, lachte, ohne eine Miene zu verziehen, die Tonleiter hinauf und herunter und strangulierte weiter. Seine Bemühung, sich der Frau zu erwehren, wurde zusehends falsch ausgelegt. Jede Wegbiegung führte zu neuen Verwicklungen. Er beschwor das Schicksal, dem Auto weitere Kurven zu ersparen. Das Schicksal hatte Ausgang.
    Als der Wagen endlich hielt, überpuderte die Blonde ihr Gesicht, bezahlte die Fahrt und äußerte, vor der Haustür: »Erstens ist dein Gesicht voll roter Flecken, und zweitens trinkst du bei mir eine Tasse Tee.«
    Er rieb sich die Lippenpomade von den Backen und sagte: »Ihr Antrag ehrt mich, doch ich muß morgen zeitig im Büro sein.«
    »Mach mich nicht wütend. Du bleibst bei mir. Das Mädchen wird dich wecken.«
    »Aber ich werde nicht aufstehen. Nein, ich muß zu Hause schlafen. Ich erwarte früh sieben Uhr ein dringendes Telegramm. Das bringt die Wirtin ins Zimmer und rüttelt mich, bis ich aufwache.«
    »Wieso weißt du schon jetzt, daß du ein Telegramm erhalten wirst?«
    »Ich weiß sogar, was drinsteht.«
    »Nämlich?«
    »Es wird heißen: ›Scher dich aus dem Bett. Dein treuer Freund Fabian.‹ Fabian, das bin ich.« Er blinzelte in das Laub der Bäume und freute sich über den gelben Glanz der Laternen. Die Straße lag ganz still. Eine Katze lief geräuschlos ins Dunkel. Wenn er jetzt die grauen Häuser entlangspazieren könnte!
    »Die Geschichte mit dem Telegramm ist doch nicht wahr!«
    »Nein, aber das ist der pure Zufall«, sagte er.
    »Wozu kommst du in den Klub, wenn dir an den Konsequenzen nichts liegt?« fragte sie ärgerlich und schloß die Tür auf.
    »Ich erfuhr die Adresse und bin sehr neugierig.«
    »Also hopp!« sagte sie. »Der Neugier sind keine Schranken gesetzt.« Die Tür schloß sich hinter ihnen.

Zweites Kapitel Es gibt sehr aufdringliche Damen – Ein Rechtsanwalt hat nichts dagegen – Betteln verdirbt den Charakter
    Im Fahrstuhl war ein Wandspiegel. Fabian zog das Taschentuch und rieb die roten Flecken aus dem Gesicht. Die Krawatte saß schief. Die Schläfe brannte. Und die blasse Blondine sah auf ihn herunter. »Wissen Sie, was eine Megäre ist?« fragte er. Sie legte den Arm um ihn. »Ich weiß es, aber ich bin hübscher.«
    Am Türschild stand: Moll. Das Dienstmädchen öffnete. »Bringen Sie uns Tee.«
    »Der Tee steht in Ihrem Zimmer.«
    »Gut. Gehen Sie schlafen!« Das Mädchen verschwand im Korridor.
    Fabian folgte der Frau. Sie führte ihn geradewegs ins Schlafzimmer, schenkte Tee ein, stellte Kognak und Zigaretten zurecht und sagte mit einer umfassenden Geste: »Bediene dich!«
    »Mein Gott, ein Tempo haben Sie am Leibe!«
    »Wo?« fragte sie.
    Er überhörte das. »Sie heißen Moll?«
    »Irene Moll sogar, damit Leute mit Gymnasialbildung etwas zu lachen haben. Setz dich. Ich komme gleich wieder.«
    Er hielt sie zurück
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