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Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Der Fruehling des Commissario Ricciardi

Titel: Der Fruehling des Commissario Ricciardi
Autoren: Maurizio de Giovanni
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zusammengepresst, die weißen Haare zu einem Knoten verschlungen, der Kopf war zwischen die Schultern geduckt, die beiden Fäuste lagen geballt auf dem Tisch. Nach einer Weile entspannte sie sich, atmete tief ein und hob die erste Karte des ausgewählten Stapels ab.
    Der Münzen-König.

    Der Vico del Fico war eine enge Sackgasse, ein kleines Dorf im Herzen einer Stadt, und Filomena lebte als Fremde darin. Sie hielt den Kopf gesenkt, der hochgeschlagene Kragen verdeckte die untere Gesichtshälfte, das Kopftuch die obere. Sie trug einen alten, abgenutzten und ausgebeulten Männermantel, Schuhe mit Pappsohlen – sie musste aufpassen, in keine Pfütze zu treten, sonst hätte sie für den Rest des Tages nasse Füße gehabt. Die brauchte sie aber noch; im Textilgeschäft der Via Toledo würde sie lange darauf stehen müssen, einen ganzen anstrengenden Tag lang. Filomena ging schnell, blickte zu Boden, hielt sich dicht an den Hauswänden. Sie spürte die feindseligen Blicke auf sich ruhen, die ihr aus den Fenstern heraus folgten. Der Hass war mit Händen zu greifen.
    Zum Glück würde sie abends vor ihrem Sohn Gaetano nach Hause kommen. Sie würde Zeit haben, die Schmiererei an der Tür zu entfernen; die Schrift war aus Kalk oder Kreide, mit Wasser müsste es weggehen.
    Eine Hure sollte sie sein, ausgerechnet sie, seit zwei Jahren hatte kein Mann sie berührt, sie floh ja regelrecht vorihren Blicken. Sie hatte nur einen Mann gehabt und dabei würde es für immer bleiben, weil ihr Gennaro tot war und sie es nicht ertragen würde, von jemand anderem angefasst zu werden.
    An der Ecke zur Gasse stand wie jeden Morgen Don Luigi Costanzo. Sie wäre ihm nur zu gerne ausgewichen, aber einmal, als sie die Straßenseite gewechselt hatte, hatte er abends an ihre Tür geklopft. Er hatte sie am Arm gepackt, so fest, dass es weh tat, und ihr in das erschrockene Gesicht gezischt, tu das nie wieder, sonst komme ich dich holen, wo auch immer du bist. Gaetano beobachtete die Szene aus dem Dunkeln, er wagte nicht zu schreien, doch in seinen Augen stand pures Entsetzen. Sie hatte ihn mit Blicken beruhigt, keine Angst, mein Schatz, mach dir keine Sorgen, gleich wird der Bastard verschwinden. Don Luigi war jung, aber es hieß, dass er schon zwei Leute umgebracht hatte: ein aufsteigendes Camorra-Mitglied und einen zukünftigen Stadtteilboss. Verheiratet, zwei Kinder in zwei Jahren: Was wollte er dann von ihr? Du hast mich um den Verstand gebracht, ich muss dich haben. Und wie, bitte schön, hab’ ich das gemacht? Wo ich dich noch kein einziges Mal angesehen habe? Wo ich schufte und arbeite von morgens bis abends, nur damit mein Sohn nicht hungern muss? Damit er seine Lehre macht und irgendwie durchkommt, eine Zukunft hat?
    Schließlich hatte sie ihn rausgeworfen, ihm gedroht, gleich zu schreien, ihn bloßzustellen, es seiner jungen Frau zu sagen oder, schlimmer noch, seinem Schwiegervater, dem wahren Boss des Viertels. Er war gegangen. Vorher hatte er dem Jungen teuflisch zugelächelt. Ein hübscher Bursche, dein Sohn, hatte er gesagt. Zartes Fleisch für ein Messer. Filomena weinte die ganze Nacht.

    Die Alte drehte die zweite Karte des Stapels um. Schwert Sieben. Ihre Hand, knorrig wie der Ast einer jahrhundertealten Eiche, zitterte kurz, die Augenbrauen bildeten eine Linie. Emma hielt den Atem an und bewegte nicht einmal die Augenlider. Immer noch der Geruch nach Knoblauch und Urin. Das Geschrei der Kinder auf der Straße. Die Vorboten des Schicksals.

    Filomena beschleunigte ihre Schritte, soweit ihre kaputten Schuhe und die nassen Steine es erlaubten. Sie versuchte, dem Mann auszuweichen, aber er verstellte ihr mit einem plötzlichen Schritt zur Seite den Weg. Sie hielt an, senkte den Kopf, ihr Gesicht wurde vom Kragen verdeckt. Der Mann gab einen lächerlichen Laut von sich, eine Art langgezogenen Kuss. Sie blieb stehen und wartete. Er zog seine Hand aus der Hosentasche, streckte sie nach ihr aus, sie trat einen Schritt zurück. Dann sagte er, Filome’, es ist nur eine Frage der Zeit. Der Zeit, dachte sie. Er fragte lachend: Wieso hast du dich so vermummt? Als ob du dich schämen würdest. Schämst du dich etwa? Sie wich ihm aus und ging schnell in Richtung Via Toledo. Ja, dachte sie, ich schäme mich. Filomena Russo schämte sich ihres verhängnisvollsten Makels, ihrer Verdammnis. Filomena Russo war die schönste Frau der Stadt.

    Die Alte drehte die dritte Karte um: ein Kelch Ass. Sie presste die Lippen aufeinander. Eine Fliege
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