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Der Fremde (German Edition)

Der Fremde (German Edition)

Titel: Der Fremde (German Edition)
Autoren: Albert Camus
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Ich habe meine Fenster zugemacht und beim Umdrehen im Spiegel ein Stück Tisch gesehen, auf dem meine Spirituslampe neben Brotresten stand. Ich habe gedacht, dass immerhin ein Sonntag herum war, dass Mama jetzt beerdigt war, dass ich wieder zur Arbeit gehen würde und dass sich eigentlich nichts geändert hatte.

III
    Heute habe ich im Büro viel gearbeitet. Der Chef war freundlich. Er hat mich gefragt, ob ich nicht zu müde wäre, und er wollte auch Mamas Alter wissen. Ich habe gesagt: «So ungefähr sechzig», um mich nicht zu vertun, und ich weiß nicht, warum er erleichtert ausgesehen hat und so, als hielte er die Sache für erledigt.
    Auf meinem Tisch stapelte sich ein Haufen Seefrachtbriefe, und ich musste sie alle durchsehen. Bevor ich das Büro verließ, um essen zu gehen, habe ich mir die Hände gewaschen. Mittags mag ich diesen Augenblick sehr. Abends macht er mir weniger Spaß, weil das Rollhandtuch, das man dabei gebraucht, ganz feucht ist: Es ist den ganzen Tag benutzt worden. Ich habe meinen Chef eines Tages darauf hingewiesen. Er hat geantwortet, er fände das bedauerlich, aber es wäre doch eine belanglose Nebensache. Ich bin etwas spät gegangen, um halb eins, mit Emmanuel, der im Versand arbeitet. Das Büro geht aufs Meer hinaus, und wir haben einen Moment damit verloren, die Frachter in der Sonnenglut des Hafens anzusehen. In dem Augenblick ist ein Lastwagen mit ohrenbetäubendem Klirren und Knattern angekommen. Emmanuel hat mich gefragt, «ob wir den nehmen wollten», und ich habe angefangen zu laufen. Der Lastwagen hat uns überholt, und wir sind hinter ihm hergerannt. Ich versank im Lärm und im Staub. Ich sah nichts mehr und fühlte nur dieses kopflose Voranstürmen inmitten von Winden und Maschinen, von Masten, die am Horizont tanzten, und von Schiffsrümpfen, an denen wir vorbeirasten. Ich habe als Erster einen Halt gefunden und bin aufgesprungen. Dann habe ich Emmanuel heraufgeholfen. Wir waren außer Atem, der Lastwagen holperte über das unebene Pflaster des Kais, inmitten von Staub und von Sonne. Emmanuel lachte, dass ihm die Luft wegblieb.
    Wir sind in Schweiß gebadet bei Céleste angekommen. Er war immer noch da, mit seinem dicken Bauch, seiner Schürze und seinem weißen Schnurrbart. Er hat mich gefragt, ob «es trotzdem gutginge». Ich habe ja gesagt und dass ich Hunger hätte. Ich habe sehr schnell gegessen und habe einen Kaffee getrunken. Dann bin ich nach Hause gegangen, habe ein bisschen geschlafen, weil ich zu viel Wein getrunken hatte, und als ich aufwachte, habe ich Lust gehabt zu rauchen. Es war spät, und ich bin gelaufen, um eine Straßenbahn zu erwischen. Ich habe den ganzen Nachmittag gearbeitet. Es war sehr heiß im Büro, und abends, beim Weggehen, war ich froh, langsam über die Kais zurückzuschlendern. Der Himmel war grün, ich fühlte mich wohl. Trotzdem bin ich direkt nach Hause gegangen, weil ich mir Kartoffeln kochen wollte.
    Beim Hinaufgehen bin ich auf der dunklen Treppe mit dem alten Salamano zusammengestoßen, meinem Flurnachbarn. Er hatte seinen Hund bei sich. Seit acht Jahren sieht man sie zusammen. Der Spaniel hat eine Hautkrankheit, die Räude, glaube ich, von der ihm fast das ganze Fell ausgeht und die ihn mit braunen Flecken und Schorf überzieht. Durch das Zusammenleben mit ihm, zu zweit allein in einem kleinen Zimmer, ist der alte Salamano ihm schließlich ähnlich geworden. Er hat rötlichen Schorf im Gesicht und schütteres gelbes Haar. Der Hund hat von seinem Herrchen eine Art gebeugten Gang angenommen, mit vorgestreckter Schnauze und gerecktem Hals. Sie sehen aus wie ein und dieselbe Rasse, und dabei hassen sie sich. Zweimal täglich, um elf und um sechs, führt der Alte seinen Hund spazieren. Seit acht Jahren haben sie ihre Route nicht geändert. Man kann sie in der Rue de Lyon unterwegs sehen, wo der Hund den Mann so lange zieht, bis der alte Salamano stolpert. Dann schlägt er seinen Hund und beschimpft ihn. Der Hund kriecht vor Schreck und lässt sich ziehen. Jetzt ist es der Alte, der ihn zieht. Wenn der Hund es vergessen hat, zieht er wieder seinen Herrn und wird wieder geschlagen und beschimpft. Dann bleiben beide auf dem Bürgersteig stehen und sehen sich an, der Hund voller Schrecken, der Mann voller Hass. Und so geht es jeden Tag. Wenn der Hund Wasser lassen will, lässt der Alte ihm keine Zeit dazu und zieht an ihm, und der Spaniel lässt eine Spur kleiner Tropfen hinter sich. Wenn der Hund zufällig ins Zimmer macht, wird er wieder
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