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Der Fremde (German Edition)

Der Fremde (German Edition)

Titel: Der Fremde (German Edition)
Autoren: Albert Camus
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Sehen kenne. Er trug einen flachen Strohhut und einen Querbinder und hatte in der Hand einen Spazierstock. Und als ich ihn mit seiner Frau sah, habe ich begriffen, warum man im Viertel von ihm sagte, er wäre vornehm. Etwas später kamen die jungen Männer der Vorstadt vorbei – pomadisiertes Haar und roter Schlips, eng taillierter Sakko mit einem bestickten Ziertüchlein und Schuhe mit eckigen Kappen. Ich habe gedacht, dass sie in die Kinos im Zentrum gingen. Deshalb machten sie sich so früh auf den Weg und eilten unter lautem Lachen zur Straßenbahn.
    Nach ihnen wurde die Straße allmählich leer. Die Vorstellungen hatten überall angefangen, glaube ich. Auf der Straße waren nur noch Ladenbesitzer und Katzen. Der Himmel war klar, aber glanzlos über den Feigenbäumen, die die Straße säumen. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig hat der Tabakhändler einen Stuhl herausgeholt, hat ihn vor seine Tür gestellt und sich, die Arme auf die Lehne stützend, rittlings daraufgesetzt. Die vorhin überfüllten Straßenbahnen waren fast leer. In dem kleinen Café «Chez Pierrot», neben dem Tabakhändler, kehrte der Kellner in dem ausgestorbenen Lokal Sägemehl zusammen. Es war wirklich Sonntag.
    Ich habe meinen Stuhl umgedreht und so gestellt wie den des Tabakhändlers, weil ich fand, dass es bequemer war. Ich habe zwei Zigaretten geraucht, bin hineingegangen, um ein Stück Schokolade zu holen, und habe es, wieder am Fenster, gegessen. Kurz darauf hat sich der Himmel verdunkelt, und ich habe geglaubt, wir würden ein Sommergewitter bekommen. Es hat sich jedoch nach und nach wieder aufgeklart. Aber das Vorüberziehen der Wolken hatte auf der Straße etwas wie eine Ankündigung von Regen hinterlassen, die sie dunkler gemacht hat. Ich habe lange den Himmel betrachtet.
    Um fünf Uhr sind Straßenbahnen angerattert gekommen. Sie brachten aus dem Vorortstadion Trauben von Zuschauern zurück, die auf den Trittbrettern und an den Haltegriffen hingen. Die folgenden Straßenbahnen haben die Spieler zurückgebracht, die ich an ihren Köfferchen erkannte. Sie grölten und sangen aus vollem Hals, dass ihr Verein nie untergehen würde. Mehrere haben mir zugewinkt. Einer hat mir sogar zugerufen: «Wir haben sie fertiggemacht.» Und ich habe bejahend mit dem Kopf genickt. Von diesem Moment an hat ein Zustrom von Autos eingesetzt.
    Der Tag hat sich noch etwas verändert. Über den Dächern ist der Himmel rötlich geworden, und mit einbrechendem Abend haben sich die Straßen belebt. Die Spaziergänger kamen nach und nach zurück. Ich habe den vornehmen Herrn inmitten von anderen erkannt. Die Kinder weinten oder ließen sich ziehen. Fast gleich darauf hat sich aus den Kinos des Viertels ein Strom von Zuschauern auf die Straße ergossen. Die jungen Männer unter ihnen hatten entschiedenere Gesten als sonst, und ich habe gedacht, dass sie einen Abenteuerfilm gesehen hatten. Die Besucher der Kinos in der Stadt kamen etwas später an. Sie wirkten ernster. Sie lachten noch, aber hin und wieder schienen sie müde und versonnen. Sie sind auf der Straße geblieben und auf dem Bürgersteig gegenüber auf und ab gegangen. Die jungen Mädchen des Viertels, ohne Kopfbedeckung, hielten sich untergehakt. Die jungen Männer hatten es so eingerichtet, dass sie ihren Weg kreuzten, und riefen scherzhafte Bemerkungen, über die die Mädchen mit abgewandtem Kopf lachten. Mehrere von ihnen, die ich kannte, haben mir zugewinkt.
    Die Straßenlampen sind dann plötzlich angegangen und haben die ersten Sterne, die in der Nacht aufstiegen, verblassen lassen. Ich habe gespürt, wie es meine Augen ermüdete, so die Bürgersteige mit ihrer Fracht von Menschen und von Lichtern anzusehen. Die Lampen ließen das feuchte Pflaster schimmern, und die Straßenbahnen warfen in regelmäßigen Abständen deren Widerschein auf glänzendes Haar, auf ein Lächeln oder ein silbernes Armband. Wenig später, als die Straßenbahnen seltener wurden und die Nacht über den Bäumen und Lampen schon schwarz war, hat sich das Viertel unmerklich geleert, bis die erste Katze langsam die wieder ausgestorbene Straße überquerte. Da habe ich gedacht, dass ich zu Abend essen müsste. Der Hals tat mir ein bisschen davon weh, dass ich so lange auf die Lehne meines Stuhls gestützt dagesessen hatte. Ich bin Brot und Nudeln einkaufen gegangen, habe gekocht und im Stehen gegessen. Ich wollte eine Zigarette am Fenster rauchen, aber die Luft hatte sich abgekühlt, und ich habe ein bisschen gefroren.
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