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Der Fremde (German Edition)

Der Fremde (German Edition)

Titel: Der Fremde (German Edition)
Autoren: Albert Camus
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Leute waren, die in kleinen Gruppen miteinander plauderten. Sie verstummten, als wir vorbeigingen. Und hinter uns setzten die Unterhaltungen wieder ein. Wie das gedämpfte Schnattern von Sittichen. An der Tür eines kleinen Gebäudes hat der Leiter sich verabschiedet. «Ich gehe jetzt, Monsieur Meursault. Ich stehe Ihnen in meinem Büro zur Verfügung. Im Prinzip ist die Beerdigung für zehn Uhr morgens angesetzt. Wir haben gedacht, dass Sie so Totenwache bei der Verstorbenen halten können. Noch eins: Ihre Mutter hat, wie es scheint, ihren Mitbewohnern gegenüber oft den Wunsch geäußert, kirchlich beerdigt zu werden. Ich habe es übernommen, das Nötige zu veranlassen. Aber ich wollte Sie davon in Kenntnis setzen.» Ich habe ihm gedankt. Mama hatte, ohne dass sie Atheistin war, zu ihren Lebzeiten nie an die Kirche gedacht.
    Ich bin hineingegangen. Es war ein sehr heller Raum, weiß gekalkt und mit einem Glasdach. Er war mit Stühlen und x-förmigen Gestellen ausstaffiert. Zwei davon, in der Mitte, trugen einen Sarg, auf dem der Deckel lag. Man sah nur glänzende, kaum angezogene Schrauben sich von den nussbraun gebeizten Brettern abheben. Neben dem Sarg saß eine arabische Krankenpflegerin im weißen Kittel und mit einem grellen Tuch um den Kopf.
    In dem Moment ist der Pförtner hinter meinem Rücken hereingekommen. Er war wohl gelaufen. Er hat ein bisschen herumgestottert: «Man hat sie zugemacht, aber ich muss den Sarg nur aufschrauben, damit Sie sie sehen können.» Er näherte sich schon dem Sarg, als ich ihn zurückgehalten habe. Er hat gesagt: «Wollen Sie nicht?» Ich habe «nein» geantwortet. Er hat innegehalten, und ich war verlegen, weil ich merkte, dass ich das nicht hätte sagen sollen. Nach einer Weile hat er mich angesehen und hat gefragt: «Warum nicht?», aber ohne Vorwurf, so als wollte er sich informieren. Ich habe gesagt: «Ich weiß nicht.» Da hat er seinen weißen Schnurrbart gezwirbelt und hat, ohne mich anzusehen, erklärt: «Ich verstehe.» Er hatte schöne Augen, hellblau, und eine etwas rote Gesichtsfarbe. Er hat mir einen Stuhl gegeben und hat sich selbst etwas hinter mir hingesetzt. Die Pflegerin ist aufgestanden und zum Ausgang gegangen. Im gleichen Moment hat der Pförtner zu mir gesagt: «Das ist ein Schanker, was sie da hat.» Weil ich nicht verstand, habe ich die Krankenschwester angeschaut und habe gesehen, dass sie unter den Augen eine Binde trug, die um den ganzen Kopf ging. In Höhe der Nase war die Binde platt. Man sah nur das Weiß der Binde in ihrem Gesicht.
    Als sie weg war, hat der Pförtner gesagt: «Ich lasse Sie jetzt allein.» Ich weiß nicht, was für eine Geste ich gemacht habe, aber er ist hinter mir stehen geblieben. Diese Anwesenheit hinter meinem Rücken störte mich. Der Raum war von einem schönen Spätnachmittagslicht erfüllt. Zwei Hornissen brummten gegen das Glasdach. Und ich fühlte, wie mich Müdigkeit überkam. Ich habe, ohne mich umzudrehen, zum Pförtner gesagt: «Sind Sie schon lange hier?» Prompt hat er geantwortet: «Fünf Jahre», als hätte er schon immer auf meine Frage gewartet.
    Danach hat er viel geschwatzt. Er hätte schön gestaunt, wenn man ihm gesagt hätte, dass er als Pförtner im Heim von Marengo enden würde. Er wäre vierundsechzig Jahre alt und käme aus Paris. Da habe ich ihn unterbrochen: «Ach, Sie sind nicht von hier?» Dann ist mir eingefallen, dass er von Mama geredet hatte, bevor er mich zum Heimleiter brachte. Er hatte gesagt, sie müsste sehr schnell beerdigt werden, weil es im Flachland heiß wäre, besonders in dieser Gegend. In dem Zusammenhang hatte er mir mitgeteilt, dass er in Paris gelebt hätte und es ihm schwerfiele, es zu vergessen. In Paris bliebe man drei, manchmal vier Tage mit dem Toten zusammen. Hier hätte man nicht die Zeit dazu, man hätte sich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, und schon müsste man hinter dem Leichenwagen herlaufen. Da hatte seine Frau zu ihm gesagt: «Sei still, solche Sachen darfst du dem Herrn nicht erzählen.» Der Alte war rot geworden und hatte sich entschuldigt. Ich hatte mich eingemischt und gesagt: «Ach wo. Ach wo.» Ich fand das, was er erzählte, richtig und interessant.
    In der kleinen Leichenhalle hat er mir erzählt, dass er als Mittelloser in das Heim gekommen wäre. Da er sich kräftig fühlte, hätte er sich um diese Stelle als Pförtner beworben. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass er genau genommen ein Heimbewohner wäre. Er hat es verneint. Mir war schon seine
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