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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf
Autoren: John Katzenbach
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wiedergeboren zu werden. Und das nicht etwa in irgendeinem albernen fundamentalistisch religiösen Sinne. Uns verbinden, wenn ich mal so sagen darf, eine Menge Erinnerungen mit diesem Ort, nicht wahr? Das war ein Witz. Na, jedenfalls mache ich hier einen neuen Anfang. Und zwar ganz radikal. Zurück zum Ausgangspunkt, vogelfrei, wie man so sagt.«
    »Wie willst du das machen?«
    Douglas Jeffers deutete auf die Fotografentasche. »Halten wir uns nicht mit den Details auf. Sagen wir einfach, in dieser Tasche steckt mein neues Ich.«
    »Verstehe ich immer noch nicht«, sagte Martin Jeffers.
    »Du brauchst nur eins zu verstehen«, fuhr ihm Douglas Jeffers schroff über den Mund. »Mein neues Ich hat keinen Bruder.«
    Die Worte trafen Martin Jeffers bis ins Mark. Er hatte Angst, dass er sich übergeben müsste, und versuchte, an den Armlehnen Halt zu finden.
    »Das kannst du nicht«, widersprach er. »Das könntest du nie.«
    »Mach dich nicht lächerlich«, gab Douglas Jeffers gereizt zurück. »Boswell kann dir bestätigen, dass ich noch nie diegeringsten Skrupel hatte, jemanden zu töten, stimmt’s, Boswell?«
    Sie drehten sich beide zu Anne Hampton um. Sie schüttelte den Kopf.
    »Wieso sollte ich also zögern, meinen Bruder zu töten? Komm schon! Kain erschlug Abel, nicht wahr? Ist das nicht das abgründigste Geheimnis, das alle Brüder teilen? Wir wollen uns doch alle an die Gurgel. Das solltest du doch am besten wissen. Du bist der Seelenklempner. Jedenfalls, gibt es einen idealeren Weg zu vollkommener Freiheit? Solange du am Leben wärst, wüsste ich immer, dass du irgendwo da draußen rumläufst, ein handfestes, unabweisliches Verbindungsglied zur Vergangenheit. Stell dir vor, wir würden uns eines Tages auf der Straße über den Weg laufen! Oder du würdest mein Foto irgendwo entdecken. Ich könnte mir nie sicher sein, weißt du, nie wirklich sicher. Und soll ich dir sagen, was daran so komisch ist? Ich war bereit, dieses Risiko auf mich zu nehmen. Bis zu dem Moment, als du hier aufgekreuzt bist. Aber in dem Augenblick, als ich dich sah, wusste ich, wie falsch ich damit lag. Wenn ich weiterleben will, nun ja … ich glaube, du verstehst mich, oder? Wenn du aber nicht mehr bist, na ja …« Er zuckte die Achseln. »Erscheint mir nur logisch.«
    »Doug, du wirst doch nicht … sei kein … was willst du …« Martin Jeffers fand keine Worte. Er war verwirrt und erstaunt. Er musste nur immer wieder denken: Aber ich bin doch hergekommen, um ihn zu retten!
    Mit einem einzigen, furchterregenden Satz durchquerte Douglas Jeffers den Raum und hielt seinem Bruder den Lauf der Automatik an die Kehle. »Kannst du den Tod spüren? Kannst du ihn riechen? Kannst du ihn auf den Lippen schmecken? Konnten sie alle, ausnahmslos, vielleicht nur für einen Augenblick, aber trotzdem.«
    »Doug, bitte. Bitte …«
    Douglas Jeffers trat zurück. »Schwäche ist widerwärtig.« Er sah seinen Bruder an. »Ich hätte dich nicht zurückhalten sollen, dann wärst du auch gestorben.«
    Martin Jeffers schüttelte den Kopf. Er wusste sofort, wovon die Rede war. »Ich war ein guter Schwimmer. So gut wie du. Viel besser als er. Ich hätte ihn gerettet.«
    »Er hatte es nicht verdient, dass ihn jemand rettete.«
    Sie starrten einander an, während sie denselben Erinnerungen nachhingen.
    »Es war so wie heute Abend«, entsann sich Martin Jeffers.
    »Ich weiß«, stimmte sein Bruder ein, und unter dem Eindruck der Erinnerung verlor seine Stimme etwas von ihrer Bedrohlichkeit.
    »Es war heiß, und er wollte schwimmen. Er hat uns mit an den Strand genommen, aber du hast gesagt, es wäre besser, nicht ins Wasser zu gehen. Du hast diese unruhigen Kräusel gesehen. Ich entsinne mich.«
    »Ein paar Tage davor hatten wir ein Gewitter, weißt du noch? Gewitter bringen den Strand immer völlig durcheinander. Deshalb. Ich dachte, es könnte eine Unterströmung geben, und abends konnte man so was nicht sehen …«
    »Deshalb wolltest du mich nicht ins Wasser lassen.«
    Douglas Jeffers nickte. »Aber der alte Mistkerl hat gesagt, wir wären Memmen. Er hat bekommen, was er verdiente.«
    Martin Jeffers zögerte.
    »Wir hätten ihn retten können, Doug. Die Unterströmung war nicht schlimm, aber er hat dagegen angekämpft. Wir waren viel stärker als er. Viel stärker. Wir hätten ihn gerettet, aber du wolltest es nicht. Du hast mich am Strand festgehalten und gesagt, er ist selbst schuld, lass ihn verrecken, ich erinnere mich genau. Du hast mich festgehalten,
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