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Der Fluch der Maorifrau

Der Fluch der Maorifrau

Titel: Der Fluch der Maorifrau
Autoren: Laura Walden
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hatte ihr eigentlich jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Was hatte ihre beste Freundin Gertrud ihr noch bei der Hochzeit zugeflüstert? »Er ist ein stattlicher Mann, und er liebt dich!« Daran, dass er sie auf seine Weise liebte, hatte es nie einen Zweifel gegeben. Jedenfalls nicht bis vor einem Jahr, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Bevor er zu diesem Ort an der neuseeländischen Ostküste aufgebrochen war, der über Nacht zum Ziel vieler Glückssucher geworden war.
    Hier in der Fremde schien Christian ein völlig anderer Mensch geworden zu sein. Ein Tyrann, der sich nicht wirklich über ihre Ankunft zu freuen schien. Gut, er hatte sie vom Schiff abgeholt, aber zwischen ihnen herrschte Fremdheit. Sie hatten bislang nur wenige Worte gewechselt, und das nur, weil Anna ihren Mann mit Fragen überhäuft hatte. Sie hatte das Gefühl, als betrachte er sie nicht mehr mit den Augen der Liebe, sondern beinahe wie einen Eindringling. Anna hatte sich natürlich vorgestellt, den Mann vorzufinden, von dem sie sich vor einem Jahr getrennt hatte. Die Aussicht, von diesem Mann auf Händen getragen zu werden, das war ihr einziger Trost gewesen, als sie Hamburg verlassen hatte. Jetzt benimmt er sich genauso grob, wie er aussieht, dachte sie seufzend. Ob er sich zu sehr an ein Junggesellendasein gewöhnt hat?
    Mit einem Ruck erhob sich Anna und zog verschämt das Nachthemd herunter. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Fenster. Christian konnte jeden Moment zurück in das Zimmer treten und sie wach sehen, dennoch konnte Anna dem Wunsch nicht widerstehen, das Fenster zu öffnen und die frische Nachtluft in die stickige Kammer zu lassen. Sie atmete einmal tief durch und wandte den Blick zum Himmel. Sie liebte die Gestirne. Frederik hatte ihr an einem klaren Winterabend, als er mit ihr nach dem Unterricht einen Spaziergang in den Wortemann'schen Garten gemacht hatte, einmal die Sterne am Firmament gezeigt und viele Sternbilder erklärt. Anna seufzte bei der süßen Erinnerung.
    Sie beugte sich aus dem Fenster und suchte den Großen Wagen. Zunächst erkannte sie ihn nicht, aber dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Er stand verkehrt herum. Am Himmel der Südhalbkugel war einfach alles genau andersherum. Während sie sich das klarzumachen versuchte, schweifte ihr Blick hinunter auf die Straße.
    Es gab in dieser Siedlung aus Holzhäusern in Hafennähe noch keine Gaslaternen wie in Hamburg, aber der Mond schien so hell, dass sie erkennen konnte, was sich dort unten bewegte. Komisch, das war doch Christian, der da auf ein Haus auf der anderen Straßenseite zuschlich! Anna konnte gerade noch rechtzeitig in das Dunkel des Zimmers zurückspringen, bevor er sie womöglich entdeckte. Ihr Herz klopfte wie verrückt. Das Fenster, dachte sie, er wird das offene Fenster sehen. Ich sollte jetzt schnell zurück ins Bett schlüpfen, ermahnte sie sich, aber ihre Neugier siegte.
    Ganz leise trat sie erneut zum Fenster, um noch einen Blick auf ihren Mann zu erhaschen. Christian lehnte an einem Verandapfeiler des gegenüberliegenden Hauses, aber er war nicht allein. Neben ihm tauchte eine kleinere Gestalt auf. Ihr schwarzes Haar leuchtete im Silbermond wie das Gefieder eines Raben. Anna erschrak. Das war ja Hine, Christians fremdartig aussehende Bedienstete! Bei Annas Ankunft hatte die sie nur aus dunklen Augen finster angestarrt. Anna hatte Christian gleich auf den unheimlichen Blick des jungen Mädchens angesprochen und ihn gefragt, was es hier im Haus zu schaffen habe. Er hatte ihr unwirsch geantwortet, dass Hine seine Hausangestellte sei und die Maori allen Weißen gegenüber Vorsicht walten ließen. Zu viele ihrer Eltern und Geschwister seien getötet worden. »Vor allem von den Briten auf der Nordinsel«, hatte Christian hinzugefügt.
    Nun stand Hine neben ihm. Ganz nahe. Kerzengerade. Ja, sie kam sogar noch näher, und Anna musste mit ansehen, wie Christian die schmalen Hüften der jungen Frau umfasste. Anna schluckte trocken. Dann zog Christian Hine einfach mit sich fort.
    Anna zögerte nicht eine einzige Sekunde. Sie eilte zu ihrem Schemel, schlüpfte in ihr Reisekleid, schnürte ihre Stiefeletten und verließ das Haus. Plötzlich hatte sie keine Angst mehr vor der Fremde. Zu groß war ihre Neugier herauszufinden, ob Hine der Grund dafür war, dass ihr Mann sich ihr gegenüber plötzlich so schroff verhielt. »Was bedeutet Hine?«, hatte Anna ihn gefragt.
    »Was weiß ich?«, hatte er geantwortet. »Ich glaube, es kommt von
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