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Der Fluch der Hebamme

Titel: Der Fluch der Hebamme
Autoren: Sabine Ebert
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Frühlingstag. Nach dem langen Winter schien es, als sei die Natur in den letzten paar Tagen mit aller Macht wiedererwacht. Die schon tiefstehende Sonne brachte frisches Grün und gelbe Blüten auf den Wiesen zum Leuchten und wärmte die Gesichter der beiden jungen Reiter.
    Ungeduldig wartete Thomas, dass sein sonst so gesprächiger Freund endlich mit dem Grund für diesen Ausritt herausrücken würde. Um das Schweigen zu überbrücken, holte er das Brot aus dem Beutel und brach es in zwei Hälften.
    Roland – ungewohnt verlegen – nahm dankend eine entgegen und holte tief Luft.
    »Was meinst du … was wohl dein Stiefvater sagen würde, wenn ich ihn um die Hand deiner Schwester bitte?«
    Thomas starrte den Freund für einen Moment verblüfft an, doch dieser Gesichtsausdruck wich rasch einem freudigen Strahlen.
    »Du und Clara? Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass du es irgendwie schaffst, mein Schwesterherz dazu zu bringen, dir zu gehorchen … Aber eigentlich hatte ich schon immer darauf gehofft, dass du mich das fragst.«
    Lachend hieb er dem anderen auf die Schulter. »Wir werden Schwäger!«
    »Beschrei es nicht, das bringt Unglück!«, wehrte Roland ab. »Ich habe schon mit meinem Vater darüber geredet. Doch er meint, ich sei noch zu jung, um zu heiraten und einen Hausstand zu gründen. Aber Lukas – ich meine, dein Stiefvater – wird wohl nicht mehr lange warten wollen, bis er deine Schwester unter die Haube bringt. Sie wird bald siebzehn, nicht wahr? Ich habe Glück, dass mir nicht längst jemand zuvorgekommen ist. Oder weißt du etwas von ernstzunehmenden Bewerbern?«
    Thomas grinste frech. »Ich glaube nicht, dass mein Stiefvater in dieser Angelegenheit das letzte Wort hat.«
    Roland wusste, worauf der Freund anspielte. In dessen Familie liefen die Dinge in vielerlei Hinsicht etwas anders als üblich. Und das aus gutem Grund.
    »Aber ich denke nicht, dass er dir das abschlagen wird«, fuhr Thomas fort. »Dein Vater, mein Vater und Lukas waren doch immer die besten Freunde.«
    »Und deine Mutter hat meiner beigestanden, als ich geboren wurde, sie hat mich auf die Welt geholt«, sprach sich Roland selbst Mut zu. Er atmete tief durch und sagte, verlegen nach Worten suchend: »Weißt du, ich kenne deine Schwester, seit sie ganz klein war. Ich mochte sie immer. Aber irgendwann, als ich sie letztens sah, war mir, als sähe ich sie zum ersten Mal – als Frau, verstehst du? Als hätte mich der Blitz getroffen …«
    »Also …«
    Betont langsam ließ Thomas das letzte Stückchen Brot sinken, statt es sich in den Mund zu stecken. »Wenn du willst, dass ich ein gutes Wort für dich einlege, solltest du jetzt vielleicht besser nicht weiterreden. Wenn ich mir vorstelle, dass du und meine Schwester … Andererseits: Was soll’s, besser du als irgendwer sonst!«
    Er zuckte mit den Schultern, aß sein Brot auf und schob sich ein Stück Schinken zwischen die Zähne.
    »Ich würde sogar mit ihr durchbrennen, wenn mein Vater mir nicht erlaubt, jetzt schon zu heiraten«, gestand Roland mit vagem Lächeln. »Aber natürlich nicht ohne den Segen deiner Eltern«, fügte er rasch an.
    Thomas grinste erneut. »Ich fürchte, du wirst sie selbst fragen müssen, ob
sie
mit
dir
durchbrennen würde«, bremste er den Überschwang seines Freundes. »Bisher hat sie wenig Begeisterung gezeigt angesichts der Vorstellung, verheiratet zu werden. Aber vielleicht wartet sie insgeheim darauf, dass du um sie anhältst. Lange kann sie es sowieso nicht mehr hinauszögern, ohne als alte Jungfer zu gelten.«
    Er wischte sich die Hände im Gras ab und stand auf.
    »Bald wird es stockfinster sein. Wir müssen zurück, wenn wir nicht gewaltigen Ärger bekommen wollen.«
    »Und du legst ja größten Wert darauf, Ärger zu vermeiden«, spottete sein Freund.
    »Im Rahmen meiner Möglichkeiten«, gab Thomas im gleichen Tonfall zurück. »Und die sind begrenzt.«
    »Weißt du, ob dein Stiefvater demnächst nach Meißen kommt?«, fragte der Ältere, während er zu seinem Rappen ging. »Vielleicht sogar mit Clara und deiner Mutter? Sonst muss ich um Erlaubnis bitten, mich vom Dienst entfernen zu dürfen, und in aller Form bei euch in Freiberg um ihre Hand anhalten. Gütiger Gott, mein Vater schlägt mich tot, wenn er davon hört! Und natürlich wird Lukas ihm das sofort erzählen …«
    Er strich seine braunen Locken zurück, die ihm der Wind ins Gesicht wehte. »Früher dachte ich immer, Heiraten sei eine leichte Sache, wenn erst einmal
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