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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling
Autoren: Jules Verne
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Grünen Erin noch mit einer Harfe bereicherte – davon nicht entzückt sein sollen, obgleich er statt
God save the Queen
oder
Rule Britannia
, den melancholischen Nationalgesängen des traurigen Vereinigten Königreiches, lieber eine irische Weise gehört hätte.
    Für Jeden, der die Maschinerie eines größeren Theaters noch nicht kannte, mußte der Vorgang hier entschieden etwas Wunderbares an sich haben; so entfesselte denn auch der Anblick dieser sich bewegenden Puppen bei den Zuschauern einen Enthusiasmus ohne Gleichen.
    Da, wie durch einen Ruck im Mechanismus, senkt die Königin ihr Scepter so tief, daß sie damit den runden Rücken des Premierministers berührt. Ein doppeltes Hurrah der Zuschauer braust durch die Lüfte.
    »Sie leben wahrhaftig! ruft einer der Umstehenden.
    – Es fehlt ihnen nur die Sprache! bemerkte ein andrer.
    – Das laßt Euch nicht leid thun!« setzt der Pharmaceut hinzu, der in unbewachten Augenblicken den Demokraten heraussteckt.
    Er hatte auch Recht. Man denke sich nur Puppen, die höfische Redensarten drechseln.
    »Ich möchte wohl wissen, was sie in Bewegung setzt, läßt sich der Schlächter vernehmen.
    – Das ist der reine Gottseibeiuns, äußert ein Matrose.
    – Ja, der Teufel, rufen einige schon halb überzeugte Matronen, die sich dem Geistlichen zugewendet bekreuzen, während der fromme Herr eine nachdenkliche Miene macht.
    – Wie könnt Ihr annehmen, daß der Teufel in diesem Kasten steckt, erwidert ein wegen seiner Naivetät bekannter Ladenjüngling, der Teufel ist dazu viel zu groß…
    – Na, wenn er nicht drin steckt, so steht er draußen! schwatzt eine alte Stadtklatsche. Der da, der dieses Schauspiel vorführt…
    – Ach nein, unterbricht sie der Droguist, Ihr wißt doch, daß der Teufel nicht irländisch spricht!«
    Das ist die Wahrheit, die Paddy ohne Widerspruch zugiebt, und man einigte sich also darüber, daß Thornpipe wegen seines rein irischen Dialects der Teufel nicht sein könne.
    Wenn die Sache also nicht mit Hexerei zuging, mußte nothwendiger Weise ein innerer Mechanismus vorhanden sein, der diese kleine Welt in Bewegung setzte.
    Niemand hatte Thornpipe jedoch etwa eine Feder aufziehen sehen. Ja, als die Bewegungen sich zu verlangsamen begannen, da hatte – eine Besonderheit, die dem Pfarrer nicht entging – ein Peitschenhieb Thornpipe’s unter den von der Decke verhüllten Kasten genügt, die Puppengesellschaft aufs neue zu beleben.
    Den Pfarrer drängte es, zu erfahren, wem diese fühlbare Aufmunterung wohl gegolten haben möge, deshalb fragte er Thornpipe:
    »Sie haben wohl einen Hund dort in Ihrem Kasten?«
    Der Mann sah ihn, die Stirn runzelnd, an, als finde er diese Frage etwas indiscret.
    »Da drin ist, was eben drin ist! antwortete er. Das bleibt mein Geheimniß. Ich fühle mich nicht verpflichtet, es zu verrathen…
    – Dazu sind Sie nicht verpflichtet, meinte der Geistliche, wir aber haben doch das Recht, zu vermuthen, daß es ein Hund ist, der Ihren Mechanismus treibt…
    – Nun ja… ein Hund! gab Thornpipe ärgerlich zu, ein Hund in einem Trommelkäfig. Es hat mir Zeit genug gekostet, ihn so weit zu dressieren. Und welchen Lohn hab’ ich nun für meine Mühen erhalten? Nicht die Hälfte von dem, was man jedem Geistlichen für das Lesen einer einzigen Messe bezahlt!«
    Eben als Thornpipe seinen Satz beendete, stand der Mechanismus still, zum großen Mißvergnügen der Zuschauer, deren Interesse noch lange nicht befriedigt war. Der Puppenvorzeiger ging daran, den Karrendeckel zu schließen, und erklärte, daß die Vorstellung zu Ende sei.
    »Würden Sie bereit sein, noch eine zweite zu geben? fragte da der Pharmaceut.
    – Nein! erklärte Thornpipe, der viele verdächtige Blicke auf sich gerichtet sah, mit barscher Entschiedenheit.
    – Auch nicht, wenn wir Ihnen für eine Einnahme von zwei Schillingen einständen?
    – Weder für zwei noch für drei Schillinge!« rief Thornpipe.
    Er dachte nur, sich aus dem Staube zu machen, das Publicum schien aber nicht in der Laune, ihn so schnell fortzulassen. Auf einen Wink seines Herrn zog der Köter in der Gabeldeichsel schon an, als sich ein langer, mit Schluchzen untermischter Klagelaut aus dem Kasten hören ließ.
    Wüthend rief Thornpipe, wie schon früher einmal:
    »Wirst Du schweigen, Hundejunge!
    – Das ist kein Hund, der da drin steckt, sagte der Geistliche, den Karren zurückhaltend.
    – Und doch! versetzte Thornpipe.
    – Nein… das ist ein Kind!…
    – Ein Kind!… Ein Kind!«
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