Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
nicht unter seiner Würde hält, in einem Laden einen ihm angebotenen Schoppen Bier anzunehmen. Die Reinheit seiner Sitten ist jedenfalls nie angefochten worden. Ueber seinen allgewaltigen Einfluß braucht man sich in jenen streng katholischen Gegenden auch gar nicht zu wundern, hier, wo nach dem bekannten Reisewerke Anna von Bovet’s, das unter dem Titel »Drei Monate in Irland« erschienen ist, »schon die Bedrohung mit dem Ausschluß vom Abendmahle den Bauer durch ein Nadelöhr jagt«.
    Den Karren umgab jetzt also ein Publicum, ein etwas productiveres, wenn man so sagen darf, als Thornpipe erhofft hatte. Wahrscheinlich winkte seiner Ausstellung nun einiger Erfolg, denn Westport war noch niemals mit einem Schauspiele dieser Art beehrt worden.
    So ließ denn der fahrende Künstler noch einmal seinen Ausruf als »
great attraction
« ertönen:
    »Königspuppen!… Prächtige, bewegliche Königspuppen!«
Zweites Capitel.
Bewegliche Königspuppen.
    Der Karren Thornpipe’s ist in einfachster Weise eingerichtet: eine Deichsel, an der der wilde zottige Köter angespannt ist; ein viereckiger, auf nur zwei Rädern ruhender Kasten, der deshalb auf den hügeligen Wegen der Grafschaft leichter fortzuziehen ist; zwei Griffe an der Rückseite, um das Ganze, gleich den Wagen hausierender Händler, auch schieben zu können; über dem Kasten ein leichtes Leinenzeltdach auf vier Eisenstäben, das, wenn es auch nicht ganz gegen die hier kaum jemals brennende Sonne, so doch gegen den endlosen Regen des höheren Irlands schützt. Das Ganze ähnelt also den leichten Wägelchen, die die Drehorgeln durch Stadt und Land tragen, jene Instrumente mit kreischenden Pfeifentönen, denen sich noch eine Art Trompetengeschmetter zugesellt. Eine Drehorgel ist es freilich nicht, womit Thornpipe von Stadt zu Stadt zieht, oder in der complicierteren Maschinerie ist die Orgel wenigstens zum einfachen Pfeifchen zusammengeschmolzen, wie sich das sogleich zeigen wird.
    Der Kasten ist nach unten nämlich durch einen bis zu einem Viertel seiner Höhe aufragenden Deckel geschlossen. Wird dieser zurückgeschlagen, so bietet sich den Zuschauern ein für diese meist verblüffender Anblick.
    Zur Vermeidung von Wiederholungen empfehlen wir, Thornpipe’s gewohnte Erläuterungen achtsam anzuhören. Jedenfalls hat sich der wandernde Schausteller mit der unermüdlichen Beredsamkeit den berühmten Brioché, den Schöpfer der Marionettentheater auf den Messen und Märkten Frankreichs, zum Muster genommen.
    »Ladies und Gentlemen….«, so beginnt er unabänderlich, um sich das Wohlwollen der Zuschauer zu sichern, selbst wenn er das jämmerlichst zerlumpte Dorfpublicum anredet.
    »Ladies und Gentlemen! Hier erblicken Sie den großen Festsaal des königlichen Schlosses zu Osborne auf der Insel Wight.«
    Das Kasteninnere stellt in der That einen Salon im Kleinen vor; vier Planken bilden seine Wände, worauf Thüren und drapierte Fenster gemalt sind; da und dort stehen hochmoderne Möbel aus Pappe, die mit Stiften auf einem farbigen Teppich festgehalten sind, Tische, Armstühle und Sessel, so angeordnet, daß sie die Bewegungen der Personen, der Prinzen, Prinzessinnen, Herzöge, Marquis, Grafen und Baronets nicht hindern können, die mit ihren vornehmen Gemahlinnen inmitten dieser officiellen Empfangscour einherstolzieren.
    »Im Hintergrunde, so fährt Thornpipe fort, bemerken Sie den Thron der Königin Victoria, überragt von dem carmoisinrothen Sammetbaldachin mit goldenen Fransen und haargenau dem Throne nachgebildet, auf dem Ihre graziöse Majestät bei den Hoffestlichkeiten Platz nimmt.«
    Der betreffende Thron mißt hier acht bis zehn Centimeter in der Höhe, und obgleich der Sammet nur durch wollebestäubtes Papier vertreten ist und die Goldfransen aus einfacher gelber Schnur bestehen, so verschlägt das nicht das mindeste bei den Wackern, die noch niemals ein solches ausgesprochen monarchisches Möbelstück zu Gesicht bekommen haben.
    »Auf dem Throne, belehrt Thornpipe weiter, erblicken Sie die Königin – die Aehnlichkeit derselben wird garantiert! – in ihrer Galatracht; den an den Schultern gehaltenen Königsmantel, die Krone auf dem Haupte und das Scepter in der Hand.«
    Wir, die wir niemals die Ehre genossen, die Beherrscherin des Vereinigten Königreiches und Kaiserin von Indien in ihren Staatsgemächern zu erblicken, können für die zweifellose Aehnlichkeit der hohen Dame mit der sie darstellenden Puppe natürlich nicht gutsagen. Doch zugegeben, daß
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher