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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling
Autoren: Jules Verne
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erkennen glaubt. Mit guten Augen würde man gewiß die Yacht »Enchantereß« unterscheiden können, mit Ihren Ehren den Lords der Admiralität an Bord, die in einer Hand ein Fernrohr, in der andern ein Sprachrohr halten.
    Mit der Behauptung, daß seine Schaustellung einzig in ihrer Art sei, hat Thornpipe das Publicum nicht betrogen. Auf jeden Fall macht sie eine Reise nach der Insel Wight unnöthig. Außerdem bereitet sie nicht nur den Gassenbuben, die sie mit Bewunderung betrachten, sondern auch den Erwachsenen, die niemals über die Grenzen Connaugths hinauskamen, ein wirkliches Vergnügen. Der Parochialgeistliche lächelt vielleicht im Stillen darüber; der Droguist kann sich nicht enthalten zu bestätigen, daß die Aehnlichkeit der dargestellten Personen überraschend sei, obwohl er diese in seinem Leben nicht gesehen hat. Der Fleischer gestand ein, was er hier sehe, übertreffe seine Vorstellungen davon, denn er könne nicht glauben, daß bei einem Empfange am Hofe so viel Luxus und Glanz entfaltet werde.
    »Nun, Ladies und Gentlemen, nimmt Thornpipe wieder das Wort, das ist bis jetzt noch gar nichts. Sie glauben jedenfalls, daß diese königlichen und die andern Personen sich gar nicht bewegen könnten. Fehlgeschossen! Sie leben wirklich, ich versichere es, leben, wie Sie und ich selbst, was Sie sofort sehen sollen. Vorerst bin ich so frei, eine kleine Einsammlung zu veranstalten, wozu ich mich Ihrem geneigten Wohlwollen empfehle.«
    Das ist der kritische Augenblick für solche Schausteller, wenn die Sammelbüchse unter den Zuschauern zu kreisen beginnt. Ganz gewöhnlich zerfallen letztere in zwei Classen: in die, die sich aus dem Staube machen, um nicht in die Tasche greifen zu müssen, und in die, welche dableiben mit der Absicht, sich umsonst zu amüsieren – die zweite Classe bildet übrigens die Mehrzahl. Wohl giebt es noch eine dritte Classe, die der Zahlenden, deren sind aber so wenige, daß es sich gar nicht verlohnt, von ihnen zu sprechen. Das zeigte sich deutlich genug, als Thornpipe seinen kleinen Umgang antrat und dazu ein liebenswürdiges Lächeln heuchelte.
    Sicherlich hätte man bei der ganzen Lumpengesellschaft, die nicht von der Stelle wich, keine zwei Coppers finden können, und alle, die das weitere Schauspiel unentgeltlich genießen wollten, wendeten beim Nahen der Sammelbüchse einfach den Kopf ab, so daß nur fünf bis sechs Zuschauer in die Tasche griffen, was den Ertrag von einem Schilling drei Pence ergab den Thornpipe mit süßsaurer Miene einsteckte. Was half’s? Er mußte sich, in Erwartung einer reicheren Ernte bei der Nachmittagsvorstellung, schon begnügen und lieber das angekündigte Programm durchführen, als etwa das Geld zurückzugeben.
    Jetzt verwandelte sich aber die bisher stumme Bewunderung in eine laute, lärmende Kundgebung des Beifalls. Es begann ein Händeklatschen, ein Trampeln mit den Füßen und ein »Aoh«rufen, daß man’s wohl bis zum Hafen hinunter hätte hören können.
    Thornpipe hatte mit seinem Stabe an den Kasten geschlagen, worauf ein von niemand beachtetes leises Seufzen Antwort gab. Plötzlich erschien die ganze Scene wie durch ein Wunder in naturgetreuer Bewegung.
    Die durch einen inneren Mechanismus bewegten Puppen schienen wirklich Leben bekommen zu haben. Ihre Majestät die Königin Victoria hatte zwar den Thron nicht verlassen, was ein Verstoß gegen die Etiquette gewesen wäre, sie hatte sich nicht einmal erhoben, sie bewegte aber das gekrönte Haupt und hob und senkte das Scepter, wie die Kapellmeister den Tactierstock beim Dirigieren. Die Mitglieder der königlichen Familie drehen und wenden sich, grüßend und Grüße erwidernd, hier-und dorthin, während die Herzöge, Marquis und Baronets in größter Ehrfurcht vorüberdefilieren. Der Premierminister verneigt sich vor Herrn Gladstone, der es ihm gleichthut. Nach ihnen schreitet O’Connell auf unsichtbarer Fuge mit Ernst und Würde vor, und ihm folgt der Herzog von Cambridge, der einen Charaktertanz aufzuführen scheint. Die andern Persönlichkeiten schließen sich dem Zuge an, und die Pferde der Horse-guards bäumen sich schweifwedelnd, als wären sie nicht in einem Saale inmitten des Schlosses von Osborne, sondern auf dessen geräumigen Hofe aufgestellt.
    Das Ganze vollzieht sich unter einer leisen, aber scharfen Musikbegleitung, bei der allerdings manche Töne nicht zum Ausdruck kommen. Doch wie hätte Paddy – der für Musik so empfänglich ist, daß Heinrich VIII. das Wappen des
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