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Der Feuerthron

Der Feuerthron

Titel: Der Feuerthron
Autoren: Carl Hanser Verlag
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und steckte den Kopf in die Küche.
    »Da bin ich, Mama!«
    »Ungewaschen und ungekämmt! Hast du dir überhaupt schon die Zähne geputzt?«
    Mera schüttelte den Kopf. »Nein, das wollte ich gleich tun.«
    »Beeil dich! Hier ist heißes Wasser. Misch es aber mit kaltem!« Die Mutter tauchte eine Steingutkanne in den brodelnden Wasserkessel und reichte sie Mera.
    »Girdhan wird dir kaltes Wasser bringen«, sagte sie und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
    Mera trug den Krug in die Kammer, in der alles gewaschen wurde, was ihre Mutter sauber sehen sollte, von der Wäsche angefangen über Geschirr und Kessel bis hin zu Girdhan und ihr. Als Kinder waren sie von der Mutter gewaschen worden, doch seit etlichen Jahren mussten sie sich selbst um sich kümmern. Aber Meraneh kontrollierte immer noch streng, ob sie es auch richtig machten, und erklärte ihnen jedes Mal, in einem Gasthaus müsse alles sauber sein, auch der Hals und die Ohren, damit die Gäste gerne kämen.
    Mera wunderte sich, weil sie an Mutters Ermahnungen denken musste, und setzte die Kanne ab, um die Waschschüssel aus ihrer Halterung an der Wand herunterzunehmen und auf den Tisch zu stellen. Als sie heißes Wasser hineingoss, rief sie nach Girdhan.
    »Wo bleibt das kalte Wasser?«
    »Komme schon!« Der Schankbursche schleppte einen vollen Eimer herbei, den er vom Brunnen geholt hatte, und grinste dabei.
    Zum ersten Mal fiel Mera auf, dass seine Zähne größer waren als die anderer Menschen, besonders die unteren Eckzähne, die leicht hervorstachen. Auch bemerkte sie zum ersten Mal, wie intensiv schwarz seine Augen leuchteten. Das hatte sie auch noch bei keinem anderen Menschen gesehen, selbst bei seinen Landsleuten nicht, die im Flüchtlingslager unten an der Küste lebten. Trotz dieser fremdartigen Züge war Girdhan auf eine eigenartige Weise hübsch und vor allen Dingen viel ruhiger und braver als ihre anderen Freunde, die ihr häufig Streiche spielten.
    Besonders der Fischerjunge Kip ärgerte sie gerne und kam auf die wildesten Ideen. Zwar war er noch zu jung, um im Schankraum des »Blauen Fischs« Bier trinken zu dürfen, aber bei ihr und Girdhan tat er so, als wäre er bereits ein erfahrener Fischer. In Wahrheit durfte er nur dann mit einem Boot aufs Meer hinausfahren, wenn einer der Männer krank war und sich kein anderer Matrose fand.
    »Heute muss ich meine Gedanken mit einem Schmetterlingsnetz einfangen«, sagte Mera ärgerlich.
    »Was soll ich fangen?« Girdhan hatte nur das letzte Wort vernommen und sah sich um, ob eine Maus oder gar eine Ratte herumlief. Allerdings verirrte sich kaum Ungeziefer in den »Blauen Fisch«, denn Großmutter Merala kannte viele Mittel, um es fernzuhalten.
    Mera begann zu lachen. »Meine Gedanken! Aber ich glaube, die sind zu flink für dich!«
    Girdhan sah sie einen Augenblick verständnislos an und fiel dann in ihr Lachen ein. »Das glaube ich auch!«
    Er wollte schon wieder gehen, damit Mera sich in Ruhe ausziehen konnte, drehte sich aber noch einmal zu ihr um. »Ich habe auch ganz komische Gedanken! Das liegt aber an dem bösen Traum, den ich heute Nacht hatte. Es war, als sei ein dichter Nebel den Fluss heraufgezogen und habe alles verschlungen.«
    »Etwas Ähnliches habe ich auch geträumt!« Mera musterte den Jungen und kratzte sich am Kopf. »Wahrscheinlich hat Berrell gestern zu viel von den schrecklichen Gurrländern geredet und uns soerschreckt, dass wir Angst bekommen und von einem bösen Nebel geträumt haben.«
    »Aber mein Nebel war ganz weiß und hat von innen geleuchtet! Die magische Farbe der Gurrländer soll doch Schwarz sein.« Girdhan schüttelte sich unwillkürlich und winkte dann ab. »Träume sind Schäume! Wahrscheinlich haben wir einen schlechten Fisch erwischt.«
    »Das wird es wohl sein«, antwortete Mera scheinbar leichthin, aber sie glaubte nicht an diese naheliegende Erklärung.
    Menschen mit magischen Talenten bekamen in ihren Träumen oft Visionen von Dingen, die tatsächlich geschehen waren oder sich noch zutragen würden, und Torrix hatte sie als begabt bezeichnet. Aber das galt natürlich nicht für Girdhan. Seine Landsleute, die Girdanier, waren mit den Gurrländern verwandt, und die waren stumpfsinnige Halbtiere, die ihrem Kaiser bedingungslos gehorchten.
    Während der Junge die Wäschekammer verließ und die Tür hinter sich schloss, schämte Mera sich für diesen Gedanken. Girdhan war alles andere als stumpf oder dumm, und es war auch nichts Tierhaftes an ihm. Sie mochte ihn
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