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Der Feind

Titel: Der Feind
Autoren: Vince Flynn
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räumte Coleman ein, »aber zum Sonnenaufgangsgebet kommen doppelt so viele Leute wie am Abend. Bis er heimkommt, ist es fast elf Uhr, da sind die Straßen wie ausgestorben.«
    »Geht er wirklich allein?«, wollte Rapp wissen, nachdem er immer noch an den Informationen zweifelte, die er vor einigen Tagen über den Mann bekommen hatte.
    »Ja.«
    Der Typ war ein ausgemachter Idiot, was aber angesichts seiner Entwicklung nicht weiter verwunderte. Der in Ägypten geborene Khalil Muhammad war in den Fängen eines Ablegers der Moslemischen Bruderschaft aufgewachsen, wo man ihm die radikale islamische Lehre der Wahabi-Sekte einbläute. Mit fünfzehn Jahren steinigte er zusammen mit einer Gruppe von Gleichgesinnten einen Journalisten zu Tode, der es gewagt hatte, einen kritischen Artikel über die Madrasa zu schreiben, die Khalil besuchte. Diese religiöse Schule hatte jeden Einzelnen ihrer Absolventen in den Krieg geschickt, der in Afghanistan gegen die sowjetischen Invasoren geführt wurde. Es ging das Gerücht, dass nicht wenige gegen ihren Willen in den Krieg ziehen mussten.
    Während die anderen für die Steinigung vor Gericht kamen, floh Khalil nach Saudi-Arabien, wo seine religiöse Ausbildung durch die Wahabis weiterging. Mit Anfang zwanzig schloss er sein Studium ab und wurde Imam. Mit sechsundzwanzig ging er nach Kanada – mit dem klar umrissenen Auftrag, eine neue Moschee zu bauen und die Wahabi-Lehre in Nordamerika zu verbreiten. Nachdem die Moschee vollendet war, erhielt er zum Lohn die Mittel, um eine zweite Moschee in Frankreich zu errichten.
    Khalils Aktivitäten fanden kaum Beachtung, was sich nach dem elften September jedoch bald änderte. In Frankreich wurde er schließlich festgenommen, weil er in die Planung eines Bombenanschlags auf einen Zug in Paris verwickelt war – nach dem Vorbild des Attentats, das im März 2004 in Madrid zweihundert Menschenleben gefordert hatte. Er hatte sechs junge Männer rekrutiert, keiner von ihnen älter als siebzehn, die für die Märtyrerrolle ausersehen waren. Khalil versprach ihnen eine reiche Belohnung im Paradies. Man würde sie als Helden in Erinnerung behalten, und ihren Familien würde große Ehre und Unterstützung zuteilwerden. Seine Rekruten sollten die schmutzige Arbeit erledigen, während Khalil selbst im Hintergrund bleiben würde. Die Sache hätte auch geklappt, wenn nicht die CIA auf ihn aufmerksam geworden wäre. Die Hacker in Langley knackten eine Firewall nach der anderen, um den Geldflüssen auf die Spur zu kommen, die von Saudi-Arabien in den Westen gingen. Dabei stießen sie auf Khalil und verständigten unverzüglich den französischen Inlandsgeheimdienst DST.
    Als die Polizei seine Wohnung durchsuchte, wurde nichts Belastendes gefunden. Doch die Spürhunde, die mit dabei waren, zeigten starkes Interesse für eine andere Wohnung im selben Stockwerk. Die Tür wurde aufgebrochen, und man fand Selbstmordwesten und genug Sprengstoff, um das Haus dem Erdboden gleichzumachen. Khalil wanderte ebenso ins Gefängnis wie die sechs jungen Männer. Sie schwiegen jedoch beharrlich, und so saßen sie etwa eineinhalb Jahre hinter Gittern, bis der Fall endlich vor Gericht kam. Der Richter war frustriert angesichts des Mangels an handfesten Beweisen. Tatsache war, dass Khalil kein Verbrechen verübt hatte. Er war ein Geistlicher, der sich nichts hatte zuschulden kommen lassen als den Umgang mit ein paar nicht ganz astreinen Typen, und so ordnete der Richter seine sofortige Freilassung an. Die sechs Jungen wurden des Besitzes von Sprengstoff angeklagt und zu einer geringfügigen Strafe verurteilt. Khalil wurde zurück nach Kanada geschickt. Binnen einer Woche war er wieder in seiner Moschee und machte mit seinen Aufrufen zum Dschihad und seinem offenen Kampf gegen die Behörden weiter, die sein Recht auf ebendiese Meinungsäußerung schützten. Die Freilassung in Frankreich hatte ihm ein trügerisches Gefühl der Unbesiegbarkeit eingeflößt.
    In Wahrheit hatte Rapp größere Probleme am Hals, aber dieser Kerl hatte ihn richtig gereizt. Vor drei Wochen war in Afghanistan ein Auto gegen eine Barriere gekracht, die eine amerikanische Einrichtung im Land schützte. Als sich die Wächter den Wagen ansahen, fanden sie einen schweren Stein auf dem Gaspedal und einen halb bewusstlosen Jungen, der ans Lenkrad gefesselt war. Das Auto war vollgepackt mit Sprengstoff, der aufgrund eines defekten Zünders nicht hochging. Der Junge erzählte seine Geschichte bereitwillig jedem,
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