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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman
Autoren: Almudena Grandes
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nicht mit?«, traute ich mich zu fragen, als wir bereits in dem Bus saßen, der uns von Fuensanta nach der größeren Ortschaft Martos bringen würde. Ich schaute aus dem Fenster, wo mein Vater auf dem Bürgersteig stand und uns zum Abschied winkte.
    »Darum.«
    »Warum nicht?«
    »Er kann nicht kommen.«
    »Weil er arbeiten muss?«
    »Das weißt du doch.«
    An diesem Morgen war mein Dorf unter einer zentimeterdicken Schneeschicht aufgewacht. In Martos war der Schnee nicht liegen geblieben, trotzdem war es sehr kalt. Das weiß ich, weil uns der Bus mit zwanzig Minuten Verspätung am Bahnhof absetzte und wir zum Zug rennen mussten. Trotz der Hast und des schweren Gepäcks, in dem sich die Geschenke für die Braut und ihre Familie befanden, wurde uns nicht warm; dabei waren wir schweißgebadet.
    Mutter trieb uns wie Schafe durch die Gänge des Zuges, während sie mit einem mit der Maschine getippten Schreiben in der Hand nach den zwei Männern der Guardia Civil Ausschau hielt, die ihn begleiten würden. Es war das erste Mal, dass ich ohne meinen Vater mit dem Zug fuhr; deshalb war ich plötzlich der einzige Mann in der Familie, und all das machte mir Angst, obwohl ich es zu verbergen versuchte. Mit ihm war es anders. Wenn er mit seiner Uniform, dem Dreispitz und seiner Dienstwaffe voranging, machten uns die Passagiere Platz, und die Schaffner fragten uns nicht nach den Fahrkarten, sondern forderten, falls nötig, die Fahrgäste zum Aufstehen auf, damit wir alle zusammensitzen konnten. Doch dieses Mal war mein Vater nicht dabei, und ich traute den beiden schreibmaschinengeschriebenen Blättern nicht, die er uns in einem Umschlag mitgegeben hatte, bevor er sich an der Bustür von uns verabschiedete. Trotzdem ging alles gut aus. Mutter kannte einen der Männer der Guardia Civil, die den Zug begleiteten, einen Gefreiten, der in Fuensanta stationiert gewesen war, bevor man ihn in die Kommandantur von Jaén versetzt hatte. Ohne sich das Schreiben durchzulesen, rief er den Schaffner, erklärte ihm, wir seien die Familie eines Kollegen, und brachte uns zu unseren Plätzen. Außerdem schenkte er mir eine Handvoll Pfefferminzbonbons, von den scharfen, die auf der Zunge und am Gaumen brennen.
    »Gib deinen Schwestern auch welche ab«, sagte er lächelnd, aber Dulce spuckte ihres sofort wieder aus, und Pepa war bereits auf dem Arm meiner Mutter eingeschlafen, als ich ihr eins geben wollte, sodass ich sie am Ende allein aß.
    Es war eine angenehme, ruhige Reise, ganz anders als die Rückfahrt, aber als der Zug anfuhr, zitterte ich immer noch vor Kälte. Eine Stunde später war der Himmel blau, die Sonne schien, und ich knöpfte mir unbewusst den Mantel auf. Kurz danach musste ich ihn ausziehen.
    »Ich schwitze, Mutter«, sagte ich, während ich auch den Pullover auszog. »Der Kessel der Lokomotive, oder?«
    »Nein«, lächelte sie, als wäre etwas Schweres von ihr abgefallen.
    »Es ist aber heiß.«
    »Und es wird noch heißer werden.«
    Dann entdeckten wir Blumen, mitten im Winter, weite grüne Felder, übersät mit roten, rosa, weißen und violetten Flecken, schöne große Blüten wie die in den Geschäften, aber hier wuchsen sie von allein gleich neben den Bahngleisen. Mutter zeigte mit dem Finger darauf und zählte uns ihre geheimnisvoll sonnigen Namen auf. Während ich zuhörte, Oleander, Hibiskus, Bougainvillea, dachte ich an den Klatschmohn, die Margeriten und diese anderen blauen Blumen, die so klein sind, dass sie nicht einmal einen Namen haben – die einzigen, die in unserem Dorf wuchsen, und auch nur im Frühling. In den Bahnhöfen waren die Menschen leicht bekleidet und liefen kurzärmelig oder mit offenen Jacken herum. Ich betrachtete sie, betrachtete diesen Garten Eden, diesen ewigen Sommer, und plötzlich wurde mir alles klar, die schlechte Laune meiner Mutter, die Flüche einer Abtrünnigen ohne Hoffnung und die bittere Verwunderung, mit der sie sich jedes Jahr, wenn der Frost kam und mit ihm die beschwerlichen Tage des Lebens, laut fragte, was sie bloß in Fuensanta de Martos verloren hätte. Doch die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen, und auch das fand ich auf dieser Reise heraus.
    Oleander, Hibiskus und Bougainvillea. Als ich sie drei Tage später so schön und unnütz neben den Bahngleisen wiedersah, die mich nach Jaén, Martos und zum Schnee in den Bergen zurückführen würden, hatte ich gelernt, dass man Namen nicht kauen und Blumen nicht essen kann. Ich hatte das Meer gesehen, aber auch wie die
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