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Der Feind meines Vaters - Roman

Der Feind meines Vaters - Roman

Titel: Der Feind meines Vaters - Roman
Autoren: Almudena Grandes
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widersprüchlicher Vorstellungen zu vertreiben. Die kalten Handschellen um meine linke Hand und unweit davon der Atem eines hageren, braungebrannten Mannes, der schmutzig und verletzt war, an der Stirn ein Rinnsal aus verkrustetem Blut und an der rechten Hand der Ring eines frisch Vermählten.
    In schwierigen Zeiten werden Kinder schneller erwachsen. Die Jahre meiner Kindheit waren die schwierigsten überhaupt, sodass ich mit neun bereits wusste, dass ich nicht zur Guardia Civil wollte. Ich wollte nicht wieder mit einem gefesselten Häftling im Zug reisen müssen, ich wollte nicht in der Kaserne wohnen, ich wollte weder anderen Menschen Angst einjagen noch wissen, dass sie auf den Boden spuckten, sobald ich ihnen den Rücken zudrehte, ich wollte nicht, dass der Gemeindediener und der Apotheker vor mir krochen und auch selber nicht vor Don Justino und dem Bürgermeister kriechen, ich wollte nicht die Angeberei eines beschränkten und schlecht erzogenen Feldwebels ertragen müssen, geschweige, dass meine Frau die Überheblichkeit der Frau eines dicken Leutnants mit Schweißfüßen aushalten müsste. Ich wollte kein Guardia-Civil-Beamter werden, der sich das einzige Klo mit den Hintern von sieben anderen Familien teilen musste, der seine Nachbarn verhaftete und in Handschellen durch die Straße führte, oder am nächsten Tag meine Kinder fragen, wie es in der Schule war, und hören, sehr gut, alles in Ordnung, obwohl es überhaupt nicht stimmte.
    Mit neun wollte ich Rennwagen fahren, nach Granada oder Madrid ziehen oder wie Pepe, der Portugiese, leben, am Fuß der Sierra in einem kleinen Haus mit einem Gemüsegarten, einem Pferd, ein paar Tieren und ein paar Freunden, weit weg vom Dorf, dem Leutnant und seiner Frau, dem Bürgermeister und Don Justino, dem Gemeindediener und dem Apotheker. So würde ich, wann immer ich Lust hatte, den Berg besteigen können, um am helllichten Tag Forellen zu fangen oder Pilze zu sammeln, statt im Morgengrauen mit einer Eisschicht auf dem Umhang, gefrorenem Schnurrbart und einem ganzen Katalog von Flüchen auf den Lippen nach Hause zurückzukehren oder auch gar nicht mehr zurückzukehren. Das wollte ich, doch nie war mir in den Sinn gekommen, dass ich nicht einmal die Wahl haben könnte, ob ich zur Guardia Civil wollte oder nicht.
    Romero, der Kollege meines Vaters, war Sohn eines Guardia-Civil-Beamten. Sanchís, der Feldwebel, der die Abteilung leiten würde, wenn das Michelin-Männchen nach Málaga zurückkehrte, und den ich nicht mochte, weil er ein böser Mensch war und Spaß daran hatte, anderen Angst einzujagen, war ebenfalls in einer Kaserne groß geworden. Genauso wie Curro, der erst zweiundzwanzig und unverheiratet war, sodass er viel Platz in seiner Dreizimmerwohnung neben uns hatte und mich dort lernen ließ. Mein Vater dagegen hatte eine andere Vergangenheit.
    Er war in Valdepeñas de Jaén zur Welt gekommen, in unmittelbarer Nähe von Fuensanta de Martos, und hatte sich nicht vom Fleck gerührt, bis er in Melilla seinen Militärdienst antreten musste. Damals begann er eine Korrespondenz mit der Schwester eines anderen Rekruten, der fast genauso hieß wie er: Antonio. Sie hatte aufgrund eines Missverständnisses Gefallen an ihm gefunden. Sie nahm an, es gäbe nur ein Dorf mit dem Namen Valdepeñas auf der Welt, und dort würde es wegen der vielen Weinberge und Weinkellereien nie an Arbeit mangeln. Dieser Mann konnte also keine schlechte Partie sein, obwohl er ihr von Anfang an nicht verhehlt hatte, dass er ein Landarbeiter ohne Land war, genau wie sein Vater, sein Großvater, sein Urgroßvater und weiter zurück bis zu Adam und Eva. Nach dem Militärdienst kehrte mein Vater auf der Melillero zum Festland zurück, und meine Mutter ging unter dem Vorwand, ihren Bruder abzuholen, der auf demselben Schiff reiste, zum Hafen von Almería, um ihn kennenzulernen. Als sie die Wahrheit erfuhr und dass sich das Dorf bei Jaén und nicht Ciudad Real befand, wo es Olivenbäume statt Weinstöcke und Ölmühlen statt Weinkellereien gab, hatte er sie bereits geküsst. Das hatte ihr gefallen, also heirateten sie, und um sich nicht zwischen den Bergen und dem Meer entscheiden zu müssen, zogen sie an einen fremden Ort, der von beiden gleich weit entfernt und für beide gleich neu war.
    Bis dahin kannte ich die Geschichte. Wie oft hatte ich das Foto gesehen, das meine Mutter in der Kommode aufbewahrte, Vater und sie in Sonntagskleidern, beide sehr jung, sehr glücklich, mit meiner erstgeborenen
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